Zweiter Abschnitt

DIE GERMANEN IN DER FRANZÖSISCHEN GESCHICHTE UND KULTUR DES MITTELALTERS

1. DIE NIEDERLASSUNG DER GERMANEN IN GALLIEN

D

er Rheinstrom bildete die Grenze zwischen Gallien und Germanien. Doch waren die nördlichen Gallier in der Mehrzahl ihrer Abstammung nach Germanen, die vor alters über den Rhein gezogen waren und gallische Sprache und Sitte angenommen hatten. Auch Caesar erwähnt germanische Stämme, die erst vor kurzem nach Gallien übergesiedelt waren. So wurden im Jahre 58 v. Chr. von den Arvernern und Sequanern Germanen herbeigerufen, über die Caesar bemerkt: „Von ihnen haben zuerst etwa 15 000 den Rhein überschritten; nachdem die wilden barbarischen Menschen die Äcker, die Lebensweise und den Überfluß der Gallier lieb gewannen, seien mehr herübergeführt worden; jetzt seien ihrer in Gallien bis zu 120 000“ (Bellum gallicum I, 31). Ferner werden die Eburonen erwähnt, die, obgleich germanischer Abstammung, in Gallien bereits heimisch geworden waren und die auf Seiten der Gallier gegen die Römer kämpften. Schon vorher hatten die Helvetier die Bojer, die in das norische Land gezogen waren, als Freunde und Bundesgenossen bei sich aufgenommen.

Von Beginn des Krieges an hatte Caesar selbst 400 germanische Reiter um sich. Als er später neuer Hilfe bedürftig und alle Wege in die Provinz wie nach Italien abgeschnitten waren, „schickte er über den Rhein, zu den Gemeinden, wo er in den vorhergehenden Jahren die Ruhe hergestellt hatte, und ließ von ihnen Reiter kommen und leicht bewaffnete Mannschaft zu Fuß, die gewohnt war, mitten zwischen den Reitern zu kämpfen. Als die Reiter eintrafen und nicht sonderlich gut beritten waren, nahm er den Kriegstribunen und den anderen niederen Offizieren, ja selbst römischen Rittern und den alten ausgedienten Soldaten, die der Ehre halber den Zug begleiteten, die Pferde und verteilte sie unter die Germanen“. Schon im Anfang entschieden jene 400 Reiter die Schlacht bei Noviodunum, und die Hauptschlacht gegen Vercingetorix wurde ebenfalls von Germanen gewonnen. Germanen drängten bei den Kämpfen von Alesia die Gallier zurück und wehrten auch einen aus der Stadt unternommenen Ausfall ab. In so früher Zeit schon begann die Germanisierung des römischen Heeres, die unter den späteren Kaisern so umfangreich wurde, daß sowohl Anführer wie oft die ganze Mannschaft aus Germanen bestanden.

Den ersten Eroberungszug über den Rhein mit dem Zwecke der Niederlassung machte Ariovist, der „eine Masse von Germanen nach Gallien übersiedelte“. Er ließ sich im Gebiet der Äduer nieder, nahm den dritten Teil des Ackers der Sequaner und ließ sie von dem zweiten Drittel abziehen, da noch 24 000 Haruder zu ihm gekommen waren. Ariovist wurde besiegt und entkam zum Teil mit der Reiterei. Von der Mannschaft zu Fuß wurden die meisten bei ihren Wagen mit Weibern und Kindern getötet.

Aus diesen Nachrichten geht hervor, daß die Germanen von Beginn ihrer Kriegszüge an die Absicht hatten, sich in Gallien häuslich niederzulassen. Ohne die Niederlage des Ariovist wäre damals schon Gallien germanisch und nicht römisch geworden. Man sieht aber auch aus diesen Beispielen, wie leicht die Germanen sich anpaßten und gallische Sprache und Sitte annahmen.

Unter Augustus wurden die Ubier auf das linke Rheinufer verpflanzt, unter Tiberius 40 000 Sugambrer und Sueven. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurden zahlreiche Barbaren als Hörige (Inquilinen oder Laeti) in Gallien angesiedelt, zum Teil in Militärkolonien, wo sie unter eigenen Anführern und nach eigenem Recht lebten. Aus diesen Läten ging der Kaiser Magnentius hervor, von dem Sosimus sagt: „Von Barbaren entstammt, hatte er unter den Läten in Gallien gelebt und sich die römische Wissenschaft angeeignet.“ Er zog seine germanischen Landsleute, Franken und Sachsen, in großen Haufen über den Rhein, die eifrig dem Stammgenossen auf dem Kaiserthron als „Verwandte und Blutsfreunde“ zu Hilfe eilten.1

Während des Markomannenkrieges suchten die Chauken und Chatten in Gallien einzudringen. Seit 242 machten sich besonders die Franken bemerkbar, die in Gallien einfielen, das Land verwüsteten oder in das römische Heer aufgenommen wurden. Posthumus (260) hatte viele Franken in seinem Heer. Wie zahlreich damals die Germanen in Gallien waren, zeigte sich unter Probus, der sie zu Tausenden wieder heraustrieb und sich rühmte, unter anderen 400 000 Franken getötet und die übrigen über den Rhein zurückgetrieben zu haben. Unter Constantin erhielten die Franken bürgerliche Ämter, und zur Zeit des Julian finden wir Germanen fast in allen führenden Stellungen. Ammian berichtet z. B., daß Alemannen, wie Latinus der comes domesticorum, Agilo der tribunus stabuli und Scudilo der scutariorum rector, „als Hauptstützen des Staates im allgemeinen Ansehen standen“. Zur selben Zeit (im Jahre 354) werden als Tribunen oder sonstige höhere Beamte erwähnt: Arintheus, Seniauchus, Bappo, Bainobaudes, Laipso, Nestica, Charietto, Hariobaudes, Dogalaif, Balcobaudes und andere. Wie sehr die Kerntruppen des Heeres germanisiert waren, geht daraus hervor, daß an Stelle der Legionen die Völkerschaften und an Stelle des Adlers die Fahne getreten war.

Ein zweites Mal wurde Gallien vor der germanischen Eroberung durch den Sieg Julians über die Alemannen bei Straßburg im Jahre 357 bewahrt. Aber die fortwährende Verpflanzung und friedliche Einwanderung von einzelnen oder Gruppen, die viel stärker als kriegerische Eroberung eine Bevölkerung in ihrer Rassenzusammensetzung umändern kann, hatte gegen das Jahr 400 „Gallien bereits in die Gewalt der Deutschen gegeben, indem Salier, Brukterer und andere deutsche Söldner den Kern des römischen Heeres in diesem Lande bildeten, und Franken hatten bereits römische Heere geführt, die Regierung geleitet und selbst über den Thron verfügt, als der Einbruch der Westgoten in Italien zum Teil die Abrufung der Legionen zur Verteidigung des Hauptlandes des Reiches notwendig machte und Gallien auf solche Weise wehrlos den Deutschen preisgegeben wurde“.2 Seit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts drangen auf dem Seewege Sachsen an der gallischen Nord- und Westküste in das Land ein. Die Hauptmasse dieser Sachsen hat um Bayeux gesessen, wo Gregor von Tours die Saxones Bajocassini erwähnt, die erst spät im Mittelalter ihre deutsche Sprache aufgegeben haben. Noch im fünften Jahrhundert vor der eigentlichen Eroberung durch Westgoten, Burgunder und Franken sehen wir im Jahre 406 zahlreiche germanische Scharen, besonders Vandalen, Sueven mit Alanen eindringen und 447 ein Alemannen- und Alanenheer im Dienst des Aëtius gegen die Bewohner der Armorica kämpfen.

Alle diese Einwanderungen veränderten die Zusammensetzung der Bevölkerung, aber die Einwanderer selbst paßten sich schnell und leicht an und wurden „Römer“. Germanische Sprache, Recht und Sitte wurde erst durch die politischen Organisationen der späteren Eroberer aufrecht erhalten; und unter der Herrschaft der Franken ist Gallien vier Jahrhunderte lang tatsächlich ein deutsches Land gewesen.

Die ersten Germanen, die in geschlossener Stammesorganisation in Gallien sich niederließen und einen neuen Staat gründeten, waren die Westgoten. Nachdem sie sich einige Zeit in Thrakien, Mösien und Italien aufgehalten hatten und ihr König Alarich in Unteritalien einen frühen Tod gefunden, wurden sie im Jahre 412 von Ataulf ins südliche Gallien geführt. Narbonne, Toulouse und Bordeaux mußten sich unterwerfen. 414 zog Ataulf nach Spanien, fand aber bald in Barcelona seinen Tod; Wallia führte die Goten nach Gallien zurück, wo ihnen von dem römischen Kaiser bleibende Wohnsitze in Aquitanien und einigen benachbarten Landstrichen, d. h. von Toulouse die Garonne entlang bis ans Meer angewiesen wurden.3 Im Verlaufe des fünften Jahrhunderts erweiterte sich das westgotische Reich bis an die Loire und an die Rhône. 462 gewann Theoderich II. Narbonne und damit das ganze narbonnensische Gallien. Unter Eurich (466—483) erreichte das Reich die größte Ausdehnung; gegen Ende seiner Regierung wurde sogar die untere Rhône überschritten, die Städte Arles und Massilia hinzugefügt und die Grenzen bis zu den Ligurischen Alpen ausgedehnt.

Außer Goten scheinen in den neu eroberten Landstrichen auch andere Germanen angesiedelt worden zu sein, denn der pagus Pictavius, die Landschaft um Poitiers, führte den Namen Thaifalia. Auch scheint der Name des Städtchens Tiffauges an der Sèvre an diesen Stamm zu erinnern. Wie sehr das germanische Element sich auch in den Städten bemerkbar machte, schildert Sidonius Apollonius in seinen Briefen. In Bordeaux, heißt es hier, sieht man den blauäugigen Sachsen, den Sigambrer mit geschorenem Haupte, den meeräugigen Heruler und den sieben Fuß hohen Burgunder.

In welcher Weise die Goten unter den Römern sich niederließen, ist genau bekannt. Von dem Lande, d. h. den urbaren Ackern, erhielten sie zwei Drittel, das übrige Drittel verblieb den Römern. Von dem Walde scheint der Gote nur die Hälfte erhalten zu haben, der Gebrauch des nicht umhegten Weidelandes sollte beiden gemeinsam sein. Die Römer hatten Grundsteuer zu zahlen, während die Goten erst später dazu verpflichtet wurden. Unter ihrer Herrschaft trat ein Zustand der Ordnung und Sicherheit ein, und nach den Zeugnissen des Salvian muß das Land damals ein blühendes Leben gezeigt haben. Auch die sittliche Erneuerung der entarteten Volkskräfte wird von ihm bezeugt: „Inter pudicos barbaros impudici sumus. Plus adhuc dico. Offendantur barbari ipsi impuritatibus nostris.“

Im Bereich der westgotischen Herrschaft haben im südöstlichen Gallien auch Ostgoten gewohnt. Denn solche hatten sich in den kottischen Alpen niedergelassen und unter Theoderich auch das Gebiet zwischen Rhône und Durance und dem Meer besetzt.

Die Burgunder, die früher am Rhein gewohnt hatten, erhielten 443 die Gegenden am westlichen Abhang der Alpen, die Sabaudia (Savoyen), zur Teilung mit den Eingeborenen angewiesen. Von hier aus breiteten sie sich in kurzer Zeit über das umliegende Rhôneland aus bis zum mittelländischen Meer, den Cevennen und gegen die Vogesen hin. Die Burgunder erhielten zwei Drittel der Ländereien, ein Drittel der Sklaven und die Hälfte von Haus und Hof, Obstgärten und Wäldern. Noch im sechsten Jahrhundert kamen Nachzügler aus den früheren Wohnsitzen am Rhein und Main, sie erhielten aber nur die Hälfte der Grundstücke der römischen Possessores, denen sie zugeteilt wurden.

Viel wichtiger als die seit dem dritten Jahrhundert erfolgenden Verpflanzungen einzelner fränkischer Haufen war das erobernde geschlossene Vordringen des gesamten Frankenstammes von Nordosten her, der eine Zeitlang in Belgien gesessen hatte und von hier aus die Herrschaft bis zur Seine und Loire vorschob. Durch seinen Sieg über Syagrius machte Chlodwig 486 der römischen Herrschaft ein Ende und erhob Paris zur Hauptstadt seines Reichs.

In welcher Weise die Franken in den eroberten Gebieten sich mit den Römern in den Grundbesitz teilten, ist nicht genau bekannt. Daß sie Grundbesitzer wurden, ist außer Zweifel, da viele Stellen des salischen und ripuarischen Gesetzes sich auf Ackerbau und Viehzucht beziehen, der von ihnen betrieben wurde. Doch waren sie von der Grundsteuer lange Zeit hindurch befreit, im Gegensatz zu den Römern, deren senatorische Geschlechter zum Teil freien Grundbesitz behielten; denn das Gesetzbuch der salischen Franken nennt letztere Romani possessores im Gegensatz zu den Romani tributarii.

Die Franken breiteten sich von Norden her auch über die südlichen Gebiete aus. Darüber sind uns deutliche Zeugnisse von Procop und Agathias erhalten. Der erstere schreibt im Gotenkrieg (III, 33), um das Jahr 548, daß alle Teile von Gallien, die den Goten untertänig waren, an die Franken abgetreten wurden, und daß Justinian sie in ihrem Besitz bestätigen mußte. „Seitdem waren die Frankenkönige Herren von Massilia, wie der ganzen Meeresküste und der dortigen Gewässer. Und jetzt haben sie schon den Vorsitz bei den Zirkusspielen in Arelate und prägen aus gallischem Golde eine Münze, die nicht, wie es sich gehört, das Bildnis des Kaisers, sondern ihr eigenes zeigt.“ Und ebenso klagt Agathias (I, 2), daß die Franken die altjonische Pflanzstadt Massilia in Besitz nahmen, die ihren hellenischen Charakter ganz verloren habe.

Da sich die Franken von ihrem überrheinischen Stammlande nicht loslösten, fanden in der Folge immer noch Nachschübe von Germanen nach den neuen Sitzen in Gallien statt, worauf besonders A. von Peetz aufmerksam gemacht hat. Karl der Große verpflanzte ostelbische Sachsen „durch Gallien und andere Teile seines Reichs“, wobei zweimal Gallien als Ziel der Verpflanzung genannt wird. Eine ziemlich ausgedehnte sächsische Ansiedelung geschah in den Ardennen, wo man Ortsnamen findet, wie Ham, Gaut (Wald), Elan (Schlamm), Gaumont, Wittimont (Wittenberg), Warmifontaine (Warmbrunn), Stoumont (Stolberg), Gooselaer (Goslar). Selbst die deutschen Flußnamen Wanne, Nethe, Aller, Bise, Ruhr, Werra finden sich in den Ardennen oder in deren nächster Nähe wieder, und andere Ortsnamen erinnern an Harz, Harteberg, Osning, an Wodan, Hulda, Ostara, Bertha.4

Die letzte germanische Einwanderung ging von den Normannen aus, die im neunten Jahrhundert die nördlichen und westlichen Küsten verheerten. Im Jahre 911 wurde das verödete Land an der Seine von Karl dem Einfältigen an einen ihrer Anführer Rollo überlassen, der es nach altgermanischer Sitte mit der Schnur (funiculo) unter seine Getreuen verteilte. In den ausgeteilten Landstrichen scheinen die Eingeborenen zu den neuen Grundherren der Regel nach in das Verhältnis von zins- und dienstpflichtigen Bauern getreten zu sein. Rollo wurde Vasall des Königs, die beiden fränkischen Fürsten der Bretagne, Alanus und Berengarius, wurden ihm in gleicher Stellung zugeteilt. Die Bretagne hatte sich schon unter Chlodwig den Franken unterworfen; auch war sie nicht von germanischen Ansiedelungen frei geblieben; darauf weisen zahlreiche germanische Ortsnamen hin, wie Bégard, Josselin, Questembert, Combourg, Auray, Dinard, Huelgoat, Baud, Broons.

2. DIE SOZIALE GESCHICHTE FRANKREICHS

Die Niederlassung der Germanen zeigt aufs deutlichste, daß ganz Gallien von ihnen in Besitz genommen wurde und sie in der Tat die Herren des Landes waren. Die Goten und Burgunder hatten zwei Drittel der Grundstücke der römischen Possessores erhalten, und die in diesen Provinzen entstehenden Staaten waren der Einrichtung und der Herrschaft nach germanische Bildungen. Im Norden, wo die Franken und Normannen als Eroberer auftraten, war ihr soziales und politisches Übergewicht von vornherein fest gegründet. Alles dies schließt nicht aus, daß einzelne oder Gruppen von römischen Vornehmen in Ansehen und Würden blieben, also auch zur herrschenden Klasse gehörten. Dafür gibt es einige Zeugnisse. Im allgemeinen wurden die Germanen von den Eingeborenen gern aufgenommen und geradezu als Befreier vom römischen Joch gefeiert. Gegen 475 erzählt z. B. Salvianus von Marseille, daß der Druck der römischen Beamten und Grundherren so groß geworden war, daß viele Römer in schon von Barbaren besetzte Gegenden flohen und die dort ansässigen römischen Bürger vor nichts mehr Angst hatten, als wieder unter römische Herrschaft zu kommen.

Wie im einzelnen die Verschmelzung der Römer und Germanen vonstatten ging, sowohl nach der anthropologischen wie psychologischen Seite, welche römische Institutionen und Ideen sich erhielten und welche germanische an ihre Stelle traten, wie die einzelnen germanischen Stämme untereinander sich verhielten und schließlich zusammen mit den Gallo-Römern im Laufe der Jahrhunderte eine neue Nation und Sprache schufen, das alles ist der Inhalt der Geschichte dieses Landes bis etwa zum Jahre 1000, wo eine neue Periode des politischen und geistigen Lebens begann.

Das westgotische Reich in Gallien wurde schon unter Chlodwig den Franken unterworfen, aber sein Name und sein Volkstum dauerte noch fort, denn Richer nennt Septimanien um das Jahr 1000 das „Land der Goten“ oder Gothia mit der Hauptstadt Toulouse, und den Titel eines Markgrafen von Gothia führten die Grafen von Rouergue, die von Lothar, dem Sohne Ludwigs I., abstammten, bis zum Jahre 1065. Im Jahre 534 wurde auch Burgund mit dem Frankenreich vereinigt, behielt aber doch eine gewisse Selbständigkeit bei. Beim Zerfall des Frankenreichs im neunten Jahrhundert gründete Graf Boso von Vienne das cisjuranische Burgund, auch arelatisches Königreich genannt; im Jahre 889 Herzog Rudolf, Sohn eines Grafen Konrad, das hochburgundische Reich; um 900 stiftete Richard, Graf von Autun, das Herzogtum Burgund, dessen Name noch in der heutigen Bourgogne fortdauert.

Durch die Besiegung der Westgoten und Burgunder wurden die Franken, die von vornherein am zahlreichsten gewesen waren und aus Germanien immer neue Kräfte heranzogen, auch der politisch vorherrschende Stamm. Ihr Reich Francien, das heute in dem Namen der Isle-de-France fortlebt, mit der Hauptstadt Paris wurde der Mittelpunkt des ganzen Staates, der nach ihnen auch seinen Namen erhielt. Es ist daher von großem völkerpsychologischen Interesse, die Urteile einiger Schriftsteller aus der älteren Zeit über den Charakter der Franken kennen zu lernen. Im Panegyricus des Libanus heißt es über sie: „Tatlosigkeit verachten sie als das größte Übel, so daß sie selbst verstümmelt mit den heil gebliebenen Gliedern den Kampf noch fortsetzen. Nach dem Sieg verfolgen sie unaufhörlich, nach der Niederlage wenden sie sich, nach beendigter Flucht, sofort zu neuem Angriff. Rast gestatten sie ihrem Feinde nie; nur das Schwert in der Hand kann man, ihnen gegenüber, speisen, nur mit dem Helm auf dem Haupte schlafen. Wie bei stürmischer Brandung der ersten Woge, die sich am Damm gebrochen, sofort die zweite, der zweiten die dritte nachfolgt und der Anprall nicht rastet, bis der Sturm sich gelegt, so folgen sich Schlag auf Schlag, hat der Kriegsdurst ihre tolle Wut geweckt, die Angriffe der Franken.“ Und Agathias schreibt: „Die Franken sind nun nicht Nomaden, wie fast alle anderen Barbarenvölker, sondern sie haben die römische Verwaltung angenommen, die römischen Gesetze, ebenso römisches Handels- und Eherecht, endlich die Religion. Denn sie sind alle Christen, und zwar durchaus rechtgläubige. Städteverwaltung, Priester, Feste haben sie gerade so wie wir, und für ein Barbarenvolk scheinen sie mir ungemein gesittet und gebildet. Das einzige, wodurch sie sich von uns unterscheiden, ist ihre barbarische Kleidung und ihre eigentümliche Sprache. Ich bewundere sie sowohl wegen ihrer übrigen Vorzüge als besonders wegen ihrer Gerechtigkeitsliebe und Eintracht.“

Freilich werden sie von anderen Schriftstellern als treulos geschildert, d. h. im Einhalten von Verträgen mit Römern oder anderen Stämmen, und in dem Königshause der Merowinger war Verwandtenmord und Ehebruch sehr häufig. Indes waren die entarteten Römer nicht besser als die in frischer Naturkraft ungezügelt und übermütig sich geberdenden Barbaren, die in ein ganz neues Milieu mit all seinen Verlockungen und Mißbräuchen versetzt worden waren. Es war eine Zeit des Übergangs, der Auflösung aller traditionellen Bande, wo Kraft und Verbrechen immer einander nahe sind. Doch gibt es in jener Zeit unter den fränkischen Königen und Fürstinnen, Hausmaiern, Bischöfen und Heiligen nicht wenige Beispiele von hervorragender Selbstbeherrschung, edler Hingebung und tugendhafter Enthaltsamkeit.

Wenn auch die Franken Herren des ganzen Reiches wurden, so blieb doch bis ins spätere Mittelalter ein Gegensatz zwischen dem mehr germanischen Norden und dem mehr römischen Süden bestehen. In Fredegars Chronik werden sogar die Franken von den „Römern“ südlich der Loire unterschieden. Erst seit dem 13. Jahrhundert bahnt sich der Ausgleich an. „Die Verschmelzung von Süd- und Nordfrankreich“, schreibt Gobineau, „wurde durch die Rassenmischung, die nach den Albigenser-Kriegen stattfand, besiegelt. In einem im Jahre 1212 abgehaltenen Parlament erwirkte Simon de Monfort die Bestimmung, daß die Witwen und Erbtöchter adliger Lehen in den besiegten Provinzen während der folgenden zehn Jahre nur Franzosen sollten ehelichen dürfen. Daher dann die Verpflanzung einer großen Anzahl Familien aus der Picardie, Champagne und Touraine nach Languedoc und das Erlöschen vieler alter gotischer Häuser.“

Früher als die Verschmelzung von Nord und Süd setzte die endgültige Trennung von Deutschland ein. Nach der Teilung des Reiches 843 waren zwar alle Zusammenhänge zwischen Ost- und Westfranken noch keineswegs gänzlich zerrissen. Die Annalenschreiber jener Zeit, wie von Fulda und Troyes, richten ihre Aufmerksamkeit noch beiden Reichen zu. Namentlich blieb in der Kirche das Gefühl der Reichseinheit länger bestehen. Aber in den Jahrbüchern des Richer, die bis 998 reichen, ist die Trennung zwischen Franzosen und Deutschen vollzogen, indem Gallien und Francien, Gallier und Franken, in eins fließen. Richer gibt an, eine „Geschichte der Gallier“ zu schreiben, er redet von gallischer Sprache, Kohorten, Legionen und Konsuln, das ganze Traditionsbewußtsein wird antikisiert. Die Einwanderung der Germanen, der Wechsel der Bevölkerung ist gänzlich vergessen. „Germanen“ und „Gallier“ werden einander gegenübergestellt, der Bischof Haimo von Verdun wird zu den germanischen, Gerbert von Reims zu den gallischen gerechnet. Doch läuft ihm zuweilen der alte Begriff Neustrien, im Gegensatz zu Austrasien, für das Gebiet zwischen Seine und Loire unter. Bekanntlich ist die sprachliche und politische Grenze zwischen Frankreich und Deutschland noch bis in die späteren Jahrhunderte schwankend geblieben, namentlich in bezug auf Lothringen, Burgund und die Provence, die lange Zeit zum deutschen Kaiserreich gehörten.

Was die innere Entwicklung des neuen Staates betrifft, so interessiert in erster Linie die Rechtsentwicklung, das Verhältnis der germanischen Stammesrechte zum römischen Recht und ihr gegenseitiges Durchdringen und Verdrängen. Anfänglich hatten die Germanen und Römer getrenntes Recht, doch tritt auch hier ein Unterschied zwischen Norden und Süden auf. Die Eroberer im Norden zerstörten die römische Stadtverfassung, setzten in den Städten Grafen und Schöffen ein, und da hier der größte Teil der Bevölkerung hörig wurde, mußte im Norden das germanische Stammesrecht überwiegen, aus dem dann die mittelalterlichen Territorialrechte und Ortsgewohnheiten, die sogenannten coutumes hervorgingen. Im Süden dagegen, wo die Niederlassung mehr friedlich vonstatten ging, die romanische Bevölkerung überwog und frei blieb, war auch das römische Recht vorherrschend, wenn auch durch germanische Rechtselemente verändert. Doch hielt sich das burgundische Recht sehr lange, noch bis ins 11. Jahrhundert, obgleich schon unter Ludwig dem Frommen der Bischof Agobard vergeblich die Aufhebung verlangt hatte.

In einzelnen Städten des Südens und namentlich im Adel erhielt sich auch fränkischer und gotischer Rechtsgebrauch. So kommen im Jahre 918 zu Ausonne gotische, römische und salische Skabinen und Regimburgen vor, ebenso gotische, römische und salische Judices im Jahre 933 zu Narbonne. Noch im Jahre 968 wird in Arles in einem Placitum des Grafen Wilhelm von Provence, worin Vasallen als Urteiler auftreten, die römische und salische Abstammung bemerkt.5 Die altfränkischen Rechtsgewohnheiten, die sich über fast ganz Frankreich verbreitet hatten, wurden unter Ludwig IX. (1226—70) durch königliche Appellhöfe verdrängt. Damals wurde auch der altgermanische Gebrauch des Gottesurteils abgeschafft und der Zeugenbeweis eingeführt.

In wie mannigfacher Weise germanische und römische Rechtselemente sich durchdrangen, zeigt der Umstand, daß römische Einrichtungen als solche bestehen blieben, aber andere Namen erhielten, weil germanische Menschen ihre Funktion ausübten, oder daß Römer Träger germanischer Einrichtungen wurden. Hierhin gehören wohl die zehn prud’hommes in Orléans und Chartres, die eine Erinnerung an die Decemprimi zu sein scheinen, die in der römischen Municipalverfassung eine wichtige Rolle spielten;6 ferner die „römischen“ Skabinen (Schöffen) in Arles und die mercatores oder nautae von Paris, deren Organisation auf römischen Ursprung zurückging, die aber im 12. Jahrhundert nach germanischer Art „Hansa“ genannt wurde und welcher „Scabinen“ vorstanden.

Die Ansicht zahlreicher französischer Historiker, daß der feudale Adel germanischer Abkunft war, wird durch eine nähere Untersuchung durchaus bestätigt. Ohne Zweifel hatten die Germanen von vornherein ein soziales Übergewicht, da sie den größeren Teil des Grundbesitzes besaßen, anfangs von der Grundsteuer befreit waren und das Recht auf ein höheres Wehrgeld hatten. Sie fühlten sich den Römern gegenüber als Herrscher und erlaubten sich mancherlei Übergriffe, was aus den Gesetzesstellen hervorgeht, in denen die Römer gegen die Germanen besonders geschützt werden. Sie waren der Kriegerstand, das Herrschergeschlecht gehörte ihrem Stamme an, und schon die Kraft ihrer jugendfrischen Rasse mußte ihnen in der herrschenden Schicht ein natürliches Übergewicht verschaffen.

Doch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auch Römer in den Antrustionenstand aufgenommen wurden. Im Gesetzbuch der salischen Franken werden Romani convivae regis genannt und in Fredegars Chronik im Jahre 604 und 606 zwei Hausmayer aus römischem Geschlecht, Protadius und Claudius, erwähnt; im Jahre 635 treffen wir unter zehn burgundischen Herzögen, von denen sieben geborene Franken, einer ein Burgunder, einer ein Sachse ist, auch einen Römer, der den germanischen Namen Ramlenus trägt. Aber in der Folge wurden die Römer, auch die Burgunder und Goten, aus den Herzogs- und Grafenstellen immer mehr durch die Franken verdrängt.

Die französischen Königsfamilien und diejenigen der großen Seigneurs können genealogisch auf einen germanischen Ursprung zurückgeführt werden, die Merovinger, die Carolinger und die Capetinger mit ihren Seitenzweigen der Valois und Bourbons. Die Merovinger waren aus dem Stamm der Sugambrer hervorgegangen, deren Sitze ursprünglich am rechten Rheinufer zwischen Sieg und Ruhr waren. Die Bezeichnung „Sicambrer“ blieb für sie lange ein Ehrenname. Die Capetinger stammten von einem Sachsen Witichin, dessen Sohn Robert der Tapfere von Karl dem Kahlen das Land zwischen Seine und Loire zum Lehen erhielt. Richer nennt in seiner Chronik diesen Witichin einen „germanischen Einwanderer“. Einer seiner Nachkommen, Hugo von Francien, mit dem Beinamen Capet, gelangte 987 auf den Thron, nachdem er nach altgermanischer Sitte auf den Schild erhoben worden war. Seine Nachkommen regierten bis zur französischen Revolution, und es ist bekannt, wie Marie Antoinette von den Revolutionären „Veuve Capet“ genannt wurde.

Die ältere Linie der Bourbonen, die in den Capetingern durch weibliche Nachkommenschaft fortlebte, stammte von Adhemar, Sire von Bourbon (Castrum Borbonnense), der um 910 lebte und seinen Ursprung auf Hildebrand, einen jüngeren Bruder Karl Martells, zurückführte. Bemerkenswert ist auch, daß im französischen Königshause die Thronfolge bis in die spätesten Zeiten nach salischem Gesetz gehalten wurde.

Die Grafen von Maine stammten von den Carolingern, ebenso die Grafen von Rouergue, und zwar von Lothar, dem Sohne Ludwigs I. Die Grafen von Touraine waren Nachkommen eines Normannenfürsten, und diejenigen von Toulouse fränkischen Ursprungs. Überhaupt finden wir seit Karl dem Großen in allen führenden Stellungen fast nur Franken, da unter diesem Herrscher der fränkische Dienstadel sich über das ganze Land ausbreitete. Er befolgte darin das Beispiel Karl Martells, der nach einer Nachricht in der Fortsetzung von Fredegars Chronik an die Grenzen des burgundischen Reiches die „Erprobtesten und Tüchtigsten seiner Mannen“ setzte. „In ganz Aquitanien,“ heißt es im Leben Ludwigs des Frommen, „setzte Kaiser Karl Grafen, Äbte und viele andere, welche man gewöhnlich Vasallen nennt, aus dem fränkischen Volke ein, deren Klugheit und Tapferkeit mit Schlauheit und Gewalt zu begegnen keinem geraten wäre, und übertrug ihnen die Sorge um das Reich, wie er es für nützlich hielt die Bewachung der Grenzen und die Verwaltung der königlichen Dörfer. Und der Stadt Biturica (Bourges) setzte er zuerst Humbert, bald darauf Graf Sturbius vor, den Pictaven (Poitou) den Abbo, den Petragorikern (Perigord) den Widbod, den Arvernern (Auvergne) den Sterius, Vallgia (in den Cevennen) den Bullus, Toulouse den Chorso, den Burdegalen (Bordeaux) den Sigwin, den Albigensern den Haimon, den Lemovicern (Limoges) den Rodgar.“

Über die Geschichte des feudalen Adels in den folgenden Jahrhunderten macht Gobineau folgende Bemerkung: „Die Rassenzersetzung des französischen Adels hatte mit dem Tage begonnen, wo die germanischen leudes sich mit dem Blute der gallorömischen leudes verbunden hatten; aber sie war schnell fortgeschritten, teilweise deshalb, weil die germanischen Krieger während der unaufhörlichen Kriege in großer Zahl dahingestorben waren und weil häufige Revolutionen Männer von geringer Herkunft an ihre Stelle gebracht hatten. Guérard stellt nach dem Zeugnis einer Chronik eines der Hauptstadien dieser Entartung folgendermaßen dar: Inmitten der Unruhen und Erschütterungen der Gesellschaft treten unter der Regierung Karls des Kahlen auf allen Seiten Emporkömmlinge auf. Kleine Vasallen werfen sich zu großen Lehensträgern und die öffentlichen Beamten des Königreichs zu fast unabhängigen Herren auf.“ Wir sehen hier aus dem Antrustionenstand und aus eigener Machtvollkommenheit zahlreiche feudale Organisationen hervorgehen, die ganz Frankreich in eine abgestufte Ordnung von Herzogtümern, Grafschaften, Baronien und Seigneurien einteilten. Daß die Vermischung mit den „Römern“ die Kraft der Germanen schwächte, daß die Kriege durch eine negative Auslese gerade sie ausmerzte, ist ohne Bedenken als richtig anzuerkennen. Doch daß auch die „Emporkömmlinge“ ihre Rasse verdorben hätten, ist nicht ohne weiteres zuzugeben. Gobineau ist die Bedeutung der sozialen Auslese unbekannt geblieben, kraft deren die durchschnittlich Tüchtigsten in höhere Stellungen emporsteigen. Im Sinne der natürlichen Auslese sind auch die altgermanischen leudes „Emporkömmlinge“ gewesen. Erst der später auftretende Beamten- und Kaufadel, die noblesse de robe, hat die anthropologische Struktur verändert, obgleich auch in ihren Schichten der Gehalt an germanischer Rasse durchschnittlich viel größer blieb als in der Gesamtbevölkerung.

Daß der feudale Adel Frankreichs germanischen Ursprungs ist und bis ins 15. und 16. Jahrhundert reine Rasse besaß, läßt sich durch anthropologische Beweise unwiderleglich dartun. Das Schönheitsideal des Rittertums war der germanische Typus; das kann aber nur dann der Fall sein, wenn es der physischen Beschaffenheit des eigenen Standes entspricht. Und es gibt in Frankreich, mehr noch als in Italien, eine große Menge von gut erhaltenen Porträts aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, die zum Teil in den Museen des Louvre, in Versailles, Chantilly, in einzelnen Provinzialgalerien und zum Teil in Privatbesitz sich befinden.

Von den adligen Personen, die auf den Bildnissen im Louvre (Saal X—XII) dargestellt sind, führe ich als Beispiele aus dem 15. und 16. Jahrhundert an: Pierre, duc de Bourbon; Philippe le Bon, duc de Bourgogne; Guillaume, baron de Trainel; Roi Renée und Jeanne de Laval; Diane de France; Duc de Guise; Jean Babou, seigneur de la Bourdaisière; Louis de Balzac; Paul de Stuer, seigneur de St. Magrin; Chrétien de Savigny; Madame de Ste. Boive; Abesse agenouillée; Henri de Bourbon, duc de Montpensier; Charles de Bossé, comte de Brissac; Louis de St. Gelais, seigneur de Lausac; Jean d’Albon, seigneur de St. André; Jean de Bourbon; Vendôme, comte d’Enghien; Louise de Rieux, marquise d’Elboeuf; Claude de Baune, duchesse de Rouennois; Nicolas de Neuville, seigneur de Villeroy; Silvie Pic de la Mirandole, comtesse de la Rochefoucauld.

Von älteren Bildnissen ist mir nur eins bekannt, das des Königs Johann (1350—1364) in der Galerie Mazarin der Nationalbibliothek in Paris. Das Porträt auf einer Holztafel zeigt den König mit langen blonden Locken.

Diese zahlreichen Porträts aus verschiedenen Jahrhunderten und aus verschiedenen Provinzen, die sicher ursprünglich in viel größerer Zahl vorhanden gewesen und deren gegenwärtiger Bestand zufällig erhalten ist, lassen auf das deutlichste die blonde Rasse erkennen. Kaum fünf bis zehn Prozent zeigen den brünetten oder einen gemischten Typus. Diese abweichenden Gestalten mögen zum Teil von gallorömischen senatorischen Geschlechtern abstammen, zum Teil späteren Mischungen zuzuschreiben sein, die trotz strenger Inzucht doch wohl nicht ganz vermieden werden konnten. Bemerkenswert ist, daß noch der spätere französische Hochadel einen geradezu überzüchteten germanischen Charakter zeigt. Davon zeugen die zahlreichen Porträts aus dem Ende des 18. und dem Anfang des 19. Jahrhunderts, die sich im Museum zu Chantilly befinden. Unter ihnen habe ich auch nicht einen Vertreter des brünetten Typus gefunden.

Auch die ältesten Miniaturen in Schriftwerken sowie auf kleinen Tafelgemälden, ferner die berühmten Miniaturen des Foucquet, überhaupt alle Werke der primitiven Malerschule stellen fast durchweg blonde Typen dar. Wir finden also in Frankreich dieselbe Richtung des Geschmacks wie in Italien, wo die ältesten Wandgemälde in St. Clemente, St. Agnese und St. Urbano in Rom, sowie in St. Angelo ad Formas bei Capua, die aus dem 11. bis 12. Jahrhundert stammen, und wo besonders Giotto und seine Schüler den germanischen Menschen zum Repräsentanten malerischer Schönheit machten. Die französischen Miniaturen stellen nicht nur Idealbilder dar, sondern auch realistische Szenen mit Mönchen, Kriegern, Seigneurs und bieten dadurch ein bedeutsames anthropologisches Interesse.

Eine ganze Reihe von Sitten und Gebräuchen weisen ebenfalls auf den germanischen Ursprung des Ritteradels hin. Nicht zu verwundern ist der fast durchgängige Gebrauch von germanischen Namen in den mittelalterlichen Grafen- und Baronenfamilien des 11. und 12. Jahrhunderts. Von den vielen Hunderten, die mir begegnet sind, zähle ich als Beispiele auf: Talairand, Wilhelm, Guido, Aimeric, Ademar, Archembald, Gaston, Gottfried, Hugo, Raoul, Heinrich, Richard, Rainier, Gilbert, Sancho, Rambaut, Raimund, Conrad, Folquet, Bernhard, Odilo, Robert, Beraut, Gaucelin, Uc, Arman, Roger, Amalrich, Balduin, Arnaut; von Frauennamen: Ermengarde, Tiburge, Mathilde, Adalasia, Bertha, Guillelma, Jausserande, Garcinde.

„Das Rittertum war in seiner Art und in seinen ganzen Sitten germanisch. Es erhielt sich die alte deutsche Sitte feierlicher Wehrhaftmachung des Jünglings; sie wurden mit dem Schwerte umgürtet und dadurch der Lebensweise des Krieges für fähig erklärt“.7 Die Tourniere sind aus den alten Waffenspielen hervorgegangen, und der ritterliche Zweikampf wird schon in den skandinavischen Liedern geschildert. Isidor schreibt von den spanischen Westgoten: „Sie lieben es sehr, sich im Speerwurf und Scheingefecht zu üben; kriegerische Spiele veranstalten sie täglich.“ Tracht und Ausrüstung des Ritters erinnern an Zustände der Völkerwanderung, wo der Reiterdienst für ehrenvoller galt, und man denkt bei den Schilderungen der mittelalterlichen Tourniere unwillkürlich an die glänzenden Reiteraufzüge, die uns von Cimbern und Burgundern berichtet sind.

In meinen Untersuchungen über Italien habe ich gezeigt, daß seit der Herrschaft der Langobarden die römische Kirche germanisiert wurde. Auch in Gallien bemächtigten sich die Germanen der höheren Kirchenämter, die eine große politische Bedeutung hatten. Dafür zeugen die französischen Bischofslisten, in denen seit dem 6. und 7. Jahrhundert fast nur germanische Namen vorkamen.

Bischöfe von Paris: Ragnemodus 595, Faramund 613, Leubert 616, Chlodebartus 655, Landericus 666, Robert 667, Sigoband 668, Agilbert 680, Sigofrid 695, Turnald 709, Adulphus 715, Bernecharius 720, Hugo 721, Merseidus 723, Ragnecardus 790, Deodefridus 821, Erkenradus 822, Ermanfredus 835, Erchimadus 853, Ingelminus 876, Gozlinus 877, Anchericus 887, Theodulphus 921, Fulrad 922, Ascellinus, Galter 927, Albericus 981, Leysiardus 987, Raynald 988, Albertus 1020, Franco 1029 usw.

Bischöfe von Rouen: Gilbardus 515, Hidulphus 594, Audoenus 657, Aubertus 677, Grippo 695, Rotolandus 719, Robertus 727, Grimo 744, Ragenfridus 748, Medardus 772, Gilbertus 780, Willebertus 800, Ragnoardus 829, Gumbaldus 838, Hugo 840, Wanilo 859, Adilardus 869, Riculphus 877, Wito 889, Franco 910, Guntharius 919 usw.

Bischöfe von Troyes: Ragnegisilus, Modegisilius 620, Lupus oder Leufus 649, Berthoaldus 680, Wanirus 690, Abbo 710, Wulfredus 720, Ragembertus 730, Aldebertus 750, Fredebertus 760, Gauserius oder Gautherius 770, Arduinus 780, Censardus 790, Robinus 810 usw.

Bischöfe von Orléans: Dago 500, Oldoricus, Ricomerus 575, Leodegisilus 621, Ando, Gaudo, Sigobert, Balaldus 690, Adamarius 695, Leodegarius 700, Leodebertus 708, Suanaricus 716, Bertinus 714, Adalinus 760 usw.

Bischöfe von Bordeaux: Bertrectamus 580, Gaudegisilus, Sicharius 816, Adalelmus, Frotarius 868, Aldebertus, Gaufridus 982, Gumbaldus, Siguimus 1010, Arnaldus, Iselo, Gaufridus 1027, Archembaldus . . . usw.

Bischöfe von Bourges: Roricius 512, Vulfoledus 642, Ado, Adolenus 682, Rochus, Siginus, Berlanus 757, Landoarius 763, Herminardus 769, Ermembertus, Sigolenus 788, Ebruinus 810, Agiulfus, Rodulfus, Wolfradus, Protarius, Adacius, Madalbertus, Hugo, Dagbertus 987 usw.

Bischöfe von Toulouse: Rodanius 356, Gernerius, Magnulfus 585, Mennas 601, Sedocus 627, Willegisulus 630, Frombertus 696, Arruso 755, Mantio 820, Bernhard 886, Armann 920, Raymund 932, Islo 936, Hugo 941, Altus 952, Issolus 975, Arnold 1035, Roger 1060 usw.

Keineswegs soll nun behauptet werden, daß die Träger dieser Namen alle germanischer Abstammung gewesen sind. Aber für die ältere Zeit dürfte es in den meisten Fällen wahrscheinlich sein. Im 6. und 7. Jahrhundert finden wir häufiger Germanen mit römischen Namen als umgekehrt. Erst im 8. Jahrhundert beginnen die römischen Namen vor den germanischen zurückzutreten, die namentlich im 9. Jahrhundert anfangen Mode zu werden. Aber von einer ganzen Reihe von Bischöfen ist ihre germanische Abstammung berichtet. Außerdem beweist der Umstand, daß bis zur großen Revolution die Besetzung der höheren Kirchenämter ein Vorrecht des Adels war, der darin eine Versorgungsstelle für die jüngeren Mitglieder seiner Familien sah, in genügendem Maße, welche anthropologischen Elemente in diesen Stellungen vorherrschend gewesen sein müssen.

Während die französischen Historiker wohl geneigt sind, dem feudalen Adel einen germanischen Ursprung zuzuschreiben, soll dagegen der dritte Stand, das Bürgertum, keltischen Ursprungs und die große Revolution der Ausdruck eines Rassengegensatzes sein. In soziologischer Hinsicht ist der Gegensatz von Germanen und Gallo-Römern kein absoluter gewesen. Die Verteilung der Germanen geschah über alle Stände; verhältnismäßig am stärksten waren sie im Adel vertreten, weniger im Bürgerstand, aber auch in der „roture“ fehlten sie keineswegs. Vor der Einwanderung der Goten, Burgunder und Franken waren zahlreiche Germanen als Kolonen angesiedelt worden; jene brachten aber auch Sklaven eigener Rasse mit, und dann ist es gewiß, daß nicht selten Gemeinfreie in den Stand der Hörigen herabgesunken sind. Zum Beweis dafür hat man das Polyptychon des Abtes Irmino von St. Germain des Prés angeführt, in dessen Listen — noch unter Karl dem Großen — 2788 Haushaltungen, fast ausnahmslos mit fränkischen Namen, genannt werden, darunter 2080 Kolonen, 35 Liten, 220 Sklaven und 8 freie Hintersassen. Aber diese fränkischen Namen bezeichnen keineswegs fränkische Abkunft oder gar freie fränkische Abkunft. Denn im 9. Jahrhundert waren die römischen Namen durch die germanischen zum größten Teil verdrängt worden, und die Franken brachten selbst zahlreiche Hörige mit, die augenscheinlich durch Nachzüge aus der Heimat noch vermehrt wurden.8

Daß Germanen sich schon früh in den Städten niedergelassen haben, ist durch mehrere Zeugnisse erwiesen, so für Tours, Rouen, Paris, Bordeaux, Marseille, Arles, Lyon. Aus den Annalen des Flodoard geht übrigens hervor, daß zu seiner Zeit d. h. gegen 966 in den Städten die „cives“ eine ritterliche Mannschaft bildeten, die für ihre Lehen zur Verteidigung der Städte verpflichtet war und dort wohnte. Sie mag den Kern der späteren Bürgerschaft gebildet haben. Außerdem ist die Einwanderung vom Land in die Stadt und das Aufsteigen in die höhere Schicht ein Vorgang sozialer Auslese, der einen anthropologischen Charakter hat. Durch zahlreiche Untersuchungen ist es festgestellt, daß die städtische Einwanderung und Auslese die nordisch-germanischen Bestandteile einer Bevölkerung an sich zieht. Demselben Vorgang ist auch die Ansammlung germanischer Elemente in den mittelalterlichen Städten zuzuschreiben. Dafür sprechen zahlreiche Nachrichten. In den von Franken besetzten Gegenden heißen die Zunftorganisationen mit einem germanischen Namen „gheude“, d. h. Gilde, und der Glockenturm, der die Genossen zusammenrief, „beffroi“, d. h. Bergfried. Es ist übrigens durch Schäffner, Thierry und andere gezeigt worden, daß das französische Zunftwesen nicht auf ähnliche antike Einrichtungen zurückgeführt werden kann, sondern eine eigenartige Schöpfung der in den Städten wohnenden Germanen ist. Danach sind die „Communen“ aus Schutzgilden entstanden, die im Kampf mit den Bischöfen und Grafen sich ausbildeten und an einigen Orten auch mit germanischer Bezeichnung „banneries“ d. h. Bannerschaften genannt wurden.

Die französische Revolution einen Aufstand der Kelten gegen die Germanen zu nennen, ist daher schwerlich durch Tatsachen zu begründen, da mindestens die führende Schicht der Bürgerschaft germanisch war und die alten Kelten nur in geringer Menge reinrassig und zahlreicher nur in Mischblut fortdauerten. Die Aufklärer und Führer der Revolution gehörten zum Teil dem Adel an oder zeigen meist den germanischen Rassetypus. Auch ist es unbegründet, die Revolution als einen Kampf zwischen Dolichocephalen und Brachycephalen aufzufassen. Denn die Blüte des Bürgerstandes in Frankreich und die Erringung der politischen Freiheit ist vornehmlich germanischer Kraft zu danken. Denn die Lafayette, Sieyès, Robespierre, St. Just usw. waren alles andere als mongoloide Brachycephalen, und Le Bon fand unter 89 großen neuerungssüchtigen und revolutionären Männern nur 20 Brachycephalen, dagegen 69 Dolichocephalen. Die Brachycephalen machen keine Revolutionen im Sinne des weltgeschichtlichen Fortschrittes. In der Revolution entfesselte sich die jahrhundertelang angesammelte und verhaltene Kraft des germanischen Bürgerstandes, der zur Herrschaft und Freiheit drängte. In der Folge freilich wurde diese nicht allzu starke Schicht durch die gallischen Mischlinge und durch die brachycephalen Menschen verdrängt, die mehr mechanisch nachrückend als durch einen offenen Kampf an ihre Stelle traten.

3. DIE GERMANISCHEN ELEMENTE IN DER FRANZÖSISCHEN SPRACHE

Die Verschmelzung der Germanen mit den Römern ging im Süden leichter und schneller vonstatten als im Norden; denn im Süden wohnten sie unter den Eingeborenen gleichmäßig verteilt, während sie im Norden in geschlossenen Haufen und als Eroberer sich niedergelassen hatten. Germanische Sprache und Sitte erhielten sich dort besser, und der Nordosten Frankreichs ist tatsächlich etwa 400 Jahre lang ein deutsches Land gewesen.

Im allgemeinen ist die deutsche Sprache im Laufe des 9. Jahrhunderts vor der neu entstehenden romanischen Sprache gewichen, doch gibt es einige Landstriche, wo das Deutsche sich noch länger erhalten hat. Karl der Große hing der deutschen Sprache noch fest an. Ein Siegeslied auf Ludwig III. (881) ist noch fränkisch abgefaßt, und Lupus von Ferrières reiste um 850 nach Deutschland, um der Sprache willen, deren Kenntnis, wie er sagt, unentbehrlich sei.9 Der Herzog Wilhelm Langschwert (Guillaume Longue-Epée), der 943 ermordet wurde, sprach noch dänisch; aber als sein Sohn diese Sprache lernen mußte (à daneschier), wurde er nach Bayeux geschickt, wo man noch zu einer Zeit norwegisch sprach, als in Rouen das Romanische schon allgemein verbreitet war. Während die Normannen schon den Kriegsruf „Dieu aide“ hatten, riefen die Einwohner von Bayeux noch „Thor aide“.10

Die neu entstandene Sprache erhielt den Grundstoff ihres Wortschatzes aus dem Lateinischen, doch wurde sie mehr als die anderen romanischen Sprachen durch germanische Grammatik und Wortschatz umgeändert. Auf germanischen Sprachgeist ist wohl der Gebrauch des bestimmten und unbestimmten Artikels, der Hilfszeitwörter und vieler Sprachwendungen zurückzuführen, die den Eindruck einer wörtlichen Übersetzung aus dem Deutschen machen. Dies geht aus den barbarisch-lateinischen Dokumenten deutlich hervor, deren Worte zwar lateinisch, deren Sprachgeist aber germanisch ist.

Von 24 000 Wörtern sind etwa 1000 germanischen Ursprungs, und zwar sind diese im Altfranzösischen häufiger als im Neufranzösischen. Germanischer Herkunft sind namentlich die Kriegs- und Waffenbezeichnungen, wie guerre, garde, échaugette (Scharwacht), bivac (Biwacht), boulevard, halt, arban (Heerbann); die Weltrichtungen nord, est, ouest, sud; die Farben blanc, blême, bleu, gris, brun, blond. Von den übrigen seien folgende hervorgehoben: 1) Substantiva: fauteuil (faldestuel), loge (laubja), gâteau (gastel, wastel), gaufre (wafel), harpe, bois (bosk), cloche (= Glocke), jardin, guède (weida), orgueil (urgoli), écurie (scuria), canif (knijf), crouche (kruik), brosse (burst), hêtre (heester), massacre (meizan, metzeln); 2) Adjektiva: hardi, terne (tarn, trübe), gauche (welk, schwach, d. h. die linke im Gegensatz zur rechten Hand), mauvais (malvais); 3) Verba: rôtir (rosten), haïr (hatjan), tâtonner (tasten), hâter (hasten), craquler (krachen), choisir (kausjan, kiesen), tirer (teiran, zerren), briser (brestan, brechen), brouiller (brodeln), trinquer (trinken).

In den normannischen Texten des Mittelalters findet man mehrfach nordische Wörter, die heute vergessen sind, z. B. esnèque, dän. sneka = navire; brant, isl. brandr = proue; drenc, dän. dreng = garçon.

Viel mehr als im konkreten Wortschatz hat sich die germanische Sprache in den Eigennamen erhalten. Je nach ihrer Bildung führe ich einige Gruppen an: 1) Ranc, Blond, Bart, Gout, Vert, Bert, Gault, Gard, Bos, Blanc, Bord, Fouque, Hugues, Baud, Frolo, Guy, Bac, Bald. 2) Aubel, Gatimel, Borel, Brourardel. 3) Goudelin, Aubertin, Guérin, Bertin, Gudin, Oudin, Bodin, Hardouin, Gonduin. 4) Berton, Houdon, Guillon, Odilon, Bordon, Valadon, Amelon, Ganelon. 5) Gaudet, Brunet, Gaudillet, Guillet, Guillemet, Judet, Girodet, Vitet, Quinet, Blanchet. 6) Guizot, Angelot, Richardot, Guillot, Lancelot, Benazet, Ribot, Huguet, Bardet, Godet. 7) Rolland, Aubrand, Bertrand, Tisserand, Berland. 8) Salabert, Albert, Aldebert, Ambert, Aubard, Siffert, Gobert, Gibert, Guignebert, Jobert, Hubert. 9) Saillard, Achard, Aimard, Ansard, Audouard, Massard, Isnard, Sicard, Gamard, Bérard, Allard, Gillard, Huard, Orillard, Ménard, Vollard, Guérard, Villard, Pichard, Evrard. 10) Arnold, Arnou, Arnould, Arnoult, Arnaux, Sigaud, Giraud, Rivaud, Perraud, Perrault, Cunaud, Quinault, Grimou. 11) Aubry, Audry, Baldy, Aubéry, Baudry, Guitry, Alric, Héric. 12) Auffray, Offray, Sauffroy, Siffrit, Guiffrey, Audiffred.

Wie im Deutschen und Italienischen, so findet man auch im Französischen die Bildung von Familiennamen durch Ortsbezeichnungen. Im Deutschen findet man z. B.: von dem Stein, von der Tann, von den Velden, von der Heydt, zur Straßen. Fast wie Übersetzungen klingen französisch: Deschamps, Desportes, Desjardins, De la Rue, De la Roche, De la Croix, italienisch: Della Quercia, Della Rovere, Della Fontana, Della Porta.

Manche germanische Namen haben starke Veränderungen durchgemacht, so daß sie kaum wiederzuerkennen sind z. B. Louis = Clovis, Chlodwig; Léger = Leodgar; Suger = Suidgar; Foucque = Folko; St. Cloud = Chlodvald; Guy = Wido; Raoul = Rodulf; Rostan = Hruodstein; Gambetta = Gundobald; Huon = Hugoni; Guiard = Warda, Wiarda.

Eigentümlich klingen die normannischen Personen- und Ortsnamen auf -boeuf, deren zweite Silbe ursprünglich wohl bodo ist, wie Ruteboeuf, Quillebeuf, Criqueboeuf, Elbeuf, Marbeuf, Gondibeuf, Querboeuf.

Als eigenartig normannische Namen sind zu nennen: Anfrie oder Anfry (= Asfridr), Anquetil (= Asketill), Austin (= Eisteinn), Gonor (= Gunnar), Ingouf (= Ingolfr), Quetil, Tocque, Tocqueville, Tostain oder Toutain (= Thorsteinn). Von den Namen berühmter Franzosen sind Turgot und Bojeldieu (= Bojelthiu) normannischen Ursprungs, vielleicht auch Mérimée.

Überhaupt haben zahlreiche berühmte Franzosen germanische Familiennamen. 1) Staatsmänner und Kriegshelden: Colbert, Mazarin, Danton, Turgot, Ricquet (= Mirabeau), Roland, Bonaparte, Royer-Collard. 2) Philosophen: Arouet (de Voltaire), Diderot, Gassendi, Offray (de Lamettrie). 3) Dichter und Schriftsteller: Poquelin (= Molière), Gautier, Hugo, Zola, Fénelon, Flaubert, Béranger, Augier, Regnard, Ronsard, Bernardin (de St. Pierre). 4) Maler: Foucquet, Ingres, Fragonard, Clouet, Vouet, Rigaud, Géricault, Fantin, Corot, Callot, Millet, Manet, Monet, Mignard, Bourdon. 5) Architekten und Bildhauer: Houdon, Hardouin genannt Mansard, Regnaudin, Garnier, Girardon, Bouchardon, Rodin, Pilon. 6) Naturforscher: Geoffroy (St. Hilaire), Moreau (de Maupertuis), Berthollet, Bernard, Foucault, Arago, Ferchault (de Réaumur). 7) Historiker und Soziologen: Thierry, Thiers, Guizot, Bodin, Gobineau, Froissart. 8) Musiker: Cambert, Goudimel, Bizet, Berlioz, Gounod, Gossé (Gossec), Auber, Massé, Bojeldieu, Rameau, Berton.

Die meisten dieser Namen lassen leicht den germanischen Ursprung erkennen; einige bedürfen einer näheren Erläuterung: Arouet = Ariwedo, Arwid, Eruid; Diderot = Teotharoh, Tietroh, Theotorot, Didero; Callot = Charlot, Karlot, Kallot; Fénelon = Fainilo (dsch. Fennel); Gounod = Gundiwald; Thierry und Thiers = Theoderich; Garnier = Werner; Moreau = Moroldo; Pocquelin, auch Poclin geschrieben, ist germ. Buco, Poco, Puocolo, dsch. Pöckel, Böcklin; Berlioz von Berilo; Ingres = Ingrio; Gobineau = Godwin; Zola ist ein italienischer Name, Kurzform von germ. Mazzolo (Matzel), dsch. Zolle, Zölling, Zöllich.11

Ungemein zahlreich sind auch die Ortsnamen germanischer Herkunft; sie finden sich meist im Norden und Nordosten, fehlen aber auch nicht im Süden. Sie sind entweder ursprünglich Personennamen gewesen, oder mit ville, villiers, bourg, court, champ, mont und dergleichen zusammengesetzt.

Zur ersten Gruppe gehören folgende: Auffray, Albert, Arnould, Arinthod, Aubers, Aubin, Autry, Barlin, Bellot, Benehard, Bernin, Bernot, Beutin, Blancarde, Bleymard, Bonnard, Bonnemain, Bourdic, Brunot, Bruniquel, Brunoy, Macouard, Dinard, Doussard, Ermont, Gahard, Gauland, Gaubert, Garéoult, Gérard, Gérardmer, Girouard, Godet, Gondrin, Gontaud, Got, Goudelin, Gouzon, Guérard, Guécélard, Guéron, Guéroulde, Guidon, Guiscard, Guiscriff, Hugo, Icard, Izon, Josselin, Lanton, Lantrec, Liard, Manot, Maubert, Moregard, Ozon, Oudon, Raddon, Rambert, Revard, Rancon, Rimbert, Rode, Semond, Simard, Talmont, Thiers, Thiel, Thil, Vauvert, Verton, Villard, Willemain.

Die mit ville, villers, court, champ, mont zusammengesetzten Ortsnamen treten erst seit der fränkischen Einwanderung auf. Ville, villers oder villiers ist lat. villa, villare und entspricht dem deutschen Wil, Weil, Weiler, z. B. in Rottweil, Gebweiler, Gatzweiler. Ungemein zahlreich sind die Zusammensetzungen mit germanischen Personennamen, z. B. Andeville, Angoville, Aubreville, Autinville, Autréville, Dainville, Denneville, Douville, Doudeville, Engonville, Emeville, Einville, Eraville, Ermenonville, Goderville, Guerbaville, Haironville, Héberville, Hénonville, Hérouville, Houdonville, Mainville, Merville, Ribeauville, Theuville, Wariville. Die Namen auf villare treten zuerst 628 auf, wie Leubaredo-villare, Ursione-villare. Von den 400 bekannten Ortsnarnen auf -villiers, die meist im Département Eure-et-Loire liegen, sind ungefähr 80 mit altdeutschen Personennamen zusammengesetzt, wie Amanvillers, Frisonvillers, Brauvilliers, Badonviller.

Die Verbindungen mit court (curtis = Hof) beginnen im 8. Jahrhundert. Von ungefähr 1400 bekannten Ortsnamen sind 400 mit Personennamen gebildet, wie Thiancourt, Sennécourt, Brancourt, Blignicourt.

Burgus (it. borgo, dsch. Burg) ist, wie man vermutet, ein schon sehr früh dem Germanischen entlehntes Wort, das ursprünglich ein kleines Kastell bedeutet. Wir finden Bourg, Cambourg, Cabourg, Neubourg, Cherbourg, Montebourg, Trousbourg usw.

Zusammensetzungen mit château (castellum) sind: Château-briant, Château-Arnoux, Château-Gaillard, Château-Giron, Château-Landon, Château-Renard, Château-Renault.

Mit roche sind gebildet: Larochefoucauld, Larochebernard, Rochambault; Zusammensetzungen mit mont sind sehr zahlreich: Bouffémont, Dennemont, Henrichmont, Montbazon, Montfaucon, Montferrand, Montgaillard, Montgéron, Montgeroult, Montgiscard, Montherlant, Montmélard.

Die deutsche Endung -ingen ist zu -ange, -ang, -ain, -aing, -anghen oder -enc geworden. Diese Ortsnamen befinden sich meist im Nordosten, z. B. Hondelange, Aubange, Hodenc, Halinghem, Floringhem, Floing, Vringe. An die Normannen erinnern Ortsnamen auf fleur, dale, tot, bec, wie Harfleur, Honfleur, Fiquefleur, Yvetot, Louvetot, Fourmetot, Caudebec, Bolbec, ferner Houlgate, Le Hom (= Heim), Le Homme, Le Houlme, Robehomme (= Reimbertheim), La Londe, Londel, Londette, Etalonde (= Steinslind), Le Torp (= Dorf), Le Tourp, le Torp-Mesnil, Torgistorp, ferner Varange, Varangeville, die auf die Waräger oder Waranger hinweisen.

In den französierten niederdeutschen Provinzen findet man Ortsnamen auf hus, hove, kerque, bergues, brouk, z. B. Dunkerque, Hazebrouk. Aber auch mitten in französischem Gebiet trifft man rein deutsche Namen an, wie Rheinberg (Dép. Calvados), Marienthal (Seine-et-Loire), ferner Godewaersvelde, Weinsberghe, Lewarde, Rosendaël, Rosembois, Steenacker, Steenwerk (Dép. Nord).

4. DIE FRANZÖSISCHE LITERATUR

Die mittelalterliche Literatur der Franzosen zeigt fast ausschließlich ein germanisches Gepräge. Nach den Forschungen von Müllenhoff, Kluge und anderen ist es zweifellos, daß die salischen Franken ihre alte Stammessage und Dichtung von den „Nibelungen“ mit in die neue Heimat gebracht haben. Nachklänge an die alte Volksbenennung findet man in Nivelles, Niveaucourt und dergleichen. Auch zahlreiche Ortsnamen weisen darauf hin, wie Brunhildis domus, Brunhildis lapis oder castra, Bruniquel- oder Bruniquet-Pierre, Brunhaut, chemin de Brunhaut.12

Der alte germanische Heldengesang ist die Grundlage der epischen Dichtung geworden, der chansons de geste, deren Auftreten für das 9. und 10. Jahrhundert feststeht, deren Inhalt aber auf die Merowinger- und Karolingerzeit zurückgeht. Schon unter den Merowingern gab es Heldenlieder, wie durch Gregor von Tours, die Gesta Francorum und Fredegar, sowie durch die alte Biographie des Heiligen Faro von Meaux bezeugt wird. Aus diesen gingen die zahlreichen chansons de geste hervor, in denen germanische Fürsten und Ritter, ihre Heldentaten und Abenteuer besungen und gefeiert werden. Die wichtigsten sind: Floovant, Aimeri de Narbonne, Aiol et Elie de St.-Gille, Alberic de Besançon, Auberi, Aye d’Avignon, Bauduin de Sebourc, Berte au grans près, Doon de Maience, Durmart de Gallois, Foulque de Caudie, Garin de Loherain, Gaufrey, Gaydon, Girard de Roussillon, Godefroi de Bouillon, Gui de Bourgogne, Gui de Nanteuil, Guillaume de Palerme, Horn et Rimenhild, Huon de Bordeaux, Jehan et Blonde, Jourdain de Blaivies, Lancelot, Merangis de Portlesguez, Otinel, Raoul de Cambrai, Richers li Bians, Roland, Tristan, Gauvain, Gérard de Nevers, Gormont et Isembert, Bernatz de Tolosa, Aigar et Maurin.

Einige der germanischen Ritternamen haben merkwürdige Veränderungen erlitten, z. B. Floovant ist nichts anderes als Chlodewing, Chlodwig; Aigar = Edgar; Gaufroy = Godifredo, Gottfried usw.

In den chansons de geste finden wir manche Eigenarten des altgermanischen Stiles wieder. F. Kluge rechnet dahin die Sitte, Gegenständen, die für die germanisch-poetische Anschauung so wichtig waren, wie Rosse, Speere, Banner, als persönlich gedachten Wesen Namen beizulegen. Dahin gehören altfranzösische Rossenamen, wie Bayard, Marchegai, Gramimund; Schwerternamen, wie Joinse, Durandel, Garbain, Plorance, Bannernamen, wie Oriflamme; Hornnamen, wie Oliphant.

Langlois hat eine lehrreiche Untersuchung über die Personennamen angestellt, die in den chansons de geste vorkommen. Überwiegend sind diejenigen germanischen Ursprungs; am häufigsten kommen vor: Acart (Aicart), Aymon, Armenjart, Alart, Acelin, Aimar, Auberi, Alori, Amelon, Ansel, Auberon, Balduin, Berart, Beraut, Berengier, Bewart, Berte, Bertain, Bretran, Bertolai, Archambault, Boson, Bradmund, Berton, Clarembaut, Dagonbert, Englebert, Eremborc, Ferrant, Fouchier, Fromont, Garnier, Gaufrai, Gautier, Gontart, Gontier, Gui, Hugon, Huon usw.13

Ebenso wie im epischen Volksgesang germanische Geschichts- und Sagenstoffe fortwirken, können ihre Spuren auch in den altfranzösischen Volksliedern festgestellt werden. Unter 84 Volksliedern, die in Frankreich gefunden wurden, gehören die meisten der Normandie an, und in diesen herrscht der nordische Charakter und die Erinnerung an die alte Heimat vor.14

Auch die altfranzösische und provençalische Liederkunst ist germanischen Ursprungs. Ihre Blüte fiel zusammen mit derjenigen des Rittertums im 11. und namentlich im 12. Jahrhundert. Das Rittertum ist der Träger und der Gegenstand dieser Poesie; seine Sitten, Überlieferungen und Ideale werden darin gefeiert, die Höfe der Herzöge und Grafen waren der Mittelpunkt dieser Dichtung, und selbst Könige und Fürsten werden unter den Troubadours genannt.

Der älteste Troubadour ist Graf Wilhelm IX. von Poitiers (1087—1127). Im ganzen sind 500 Troubadours dem Namen nach bekannt. Soweit ihre Herkunft überliefert ist, waren 5 Könige, 2 Fürsten, 10 Grafen, 5 Markgrafen, 5 Vizegrafen, unter denen Bertran de Born und Wilhelm von Berguedan die bedeutendsten sind; 6 waren mächtige Barone, z. B. Raimbaut von Aurenga, 9 reiche Schloßherren, wie Guilhelm von St. Didier und Uc de St. Circ; 29 waren Ritter oder Söhne von Rittern, wie Pons von Capduelh, Bertran von Lamonon, Guillem de Cabestaing, Cadenet, Peirol, Raimon von Miraval, Raimbaut von Vaqueiras; 5 adeligen Geschlechts; 16 gingen aus dem Bürgerstand hervor, so Gaucelm Faidit, 8 aus Handwerkerkreisen; geringerer Herkunft waren Bernart von Ventadon und Girault von Bornelh.

Von den altfranzösischen Trouvères sind hier zu nennen: Alberich von Besançon, Lambert li Tors, Bérol, Robert von Boron, Gui de Cambray, Gautier d’Arras, Raoul de Houdenc, Richart le Pélerin, Guiot de Provins, Huon de Méry, Robert de Blois, Audefroi le Bastard, Baudouin des Auteurs, Renaud de Sableuil, Gontier de Soignies, und als besonders hervorragender Dichter Graf Thibaut IV. von Champagne.

Es wurde gezeigt, daß der französische mittelalterliche Adel überwiegend den physischen Charakter der germanischen Rasse trägt. Ganz natürlich ist es daher, wenn wir in der Troubadour-Poesie das physische Schönheitsideal des germanischen Menschen wiederfinden. Darüber liegen zwei eingehende und lehrreiche Untersuchungen vor, von J. Houdoy über die Schönheit der Frauen und von J. Loubier über das Ideal der männlichen Schönheit in der französischen Kunst und Literatur.15

Wie Houdoy bemerkt, gibt Alain de Lille im 12. Jahrhundert eine naturwahre Schilderung der Frauen seiner Zeit, mit goldblonden Haaren, milchweißer Haut und goldglänzenden Augenbrauen. In den chansons de geste werden Beatrix, Blanchefleur, Gloriande, Rosemunde usw. mit blonden Haaren und einer Haut wie Milch und Rosen beschrieben. Die blonden Haare sind im Bewußtsein jener Zeit ein Zeichen reiner Rasse. Bis ins 13. Jahrhundert hinein wird die schwarze Haarfarbe den Feinden, Ungläubigen und Verrätern zugeschrieben. In keinem Porträt wird bis dahin das schwarze Haar gerühmt. Der Mönch Drogon beschreibt die 1049 geborene Sainte-Godelive dahin, daß sie von bewunderungswürdiger Schönheit gewesen, das einzige, was man an ihr hätte tadeln können, seien ihre schwarzen Haare und Augenbrauen.

Das Ideal männlicher Schönheit kennt nur das blonde Haar, wie die Dichtungen aus der Zeit des 11. bis 14. Jahrhunderts zeigen. Ein paar Beispiele von braunen Haaren kommen gegenüber der unzähligen Menge von Stellen, wo blondes Haar geschildert wird, nicht in Betracht. Die blonden Haare werden bezeichnet als cheveux blons oder chevals blois, d. h. lichtfarben oder gelb, wie dieses Wort auch von Blumen gebraucht wird. Das schwarze Haar wird für häßlich gehalten; bezeichnend ist dafür das Zeugnis des Joinville, der von den Sarazenen berichtet: „laides gens et hydenses sont a regarder, car li cheval des testes et des barbes sont tout noir“. Das Gesicht des schönen Mannes muß länglich sein (traitis et lonc), die Gesichtsfarbe frisch und farbig (fres et coloré). Die weiße Farbe muß sich im Gesicht anmutig mit der roten mischen, um dem Anspruch auf Schönheit zu genügen. Dagegen sollen die Augenbrauen dunkel sein, bruns oder noirs (im Gegensatz zur Frauenschönheit, der blonde zugeschrieben werden), die Augen cler et vair, d. h. hell und glänzend, die Nase lang und gerade, die Haut weiß, schneeweiß oder blütenweiß, die Haltung stolz und edel.

Was die Prosa-Literatur angeht, so war Gregor von Tours († 594) der letzte Schriftsteller gallo-römischen Ursprungs. Der Fortsetzer seiner Fränkischen Geschichte, der Chronik des sog. Fredegar, war schon fränkischer Herkunft. Nach Gregor geht die ganze gelehrte Literatur auf die Germanen über, namentlich auf Bischöfe, Äbte und Mönche. Ihr Inhalt besteht in Heiligengeschichten, Moraltraktaten, Predigten, Lehrgedichten, Chroniken und Annalen. Vom 7. bis 10. Jahrhundert werden folgende Gelehrte und Schriftsteller genannt: Baudonivia von Poitiers (geb. 600), Ansbert von Rouen († 683), Baudemund von St. Amand (700), Theodofrid von Luxeuil († 681), Heiric von Auxerre, Alcuin († 804), Fredegis von St. Bertin († 834), Agobard von Lyon († 862), Angolemus von Luxeuil († 856), Leidrad von Lyon († 816), Thédulf von Orléans († 821), Ratramn von Corbie († 868), Gottschalk von Orléans († 867), Amulo von Lyon († 852), Hinkmar von Reims († 867), Hilduin von St. Denis († 842), Abbo von St. Germain († 923), Odilo von Soissons († 930), Druthmar von Corbie, Odo von Cluny (im 10. Jahrh.).

Karl der Große stiftete zahlreiche Schulen auf französischem Gebiet. Der Domschule von Tours stand Alcuin vor, die bald als Musterschule im Frankenreich galt. Fulbert leitete die Akademie von Chartres und beschäftigte sich, wie Berengar von Tours, mit Medizin, Astronomie, Arithmetik. Aus diesen Schulen gingen hervor: Adelmann, Hildier, Sigo (Meister im Orgelspiel), Lambert, Engelbert, Rainald (Grammatiker).

Ferner waren die von Franken und Normannen gegründeten Klöster wichtige Stätten mittelalterlicher Gelehrsamkeit. Besonders ragte das Kloster Bec (= Bach) in der Normandie hervor, das von einem dänischen Ritter Herlijn gegründet wurde. Überhaupt war die Normandie, Anjou, Touraine und Maine im 11. Jahrhundert der Sitz von zahlreichen blühenden Schulen, während im 12. Jahrhundert die Schulen von Paris sich auszeichneten und diese Stadt der Mittelpunkt europäischer Wissenschaft wurde. In dieser Zeit glänzten als Scholastiker Joh. Roscellinus, Wilhelm von Champeaux, Abälard, Gilbert de la Porrée, Wilhelm Durand, Bernhard von Clairvaux.

Unter den Chronisten ist besonders Richer zu nennen, der Sohn Rudolfs, eines ritterlichen Dienstmannes Ludwigs IV., dessen Jahrbücher bis 998 reichen und für die Zustände jener Zeit von großem Interesse sind. Geoffroy de Villhardouin, Marschall der Champagne († 1212), verfaßte das erste französische Prosawerk, während Froissart (= Frischhardt) aus Valenciennes (geb. 1333) die bedeutendste mittelalterliche Chronik schrieb.

Es braucht nicht betont zu werden, daß diese germanischen Namen nicht in jedem Fall germanische Abstammung beweisen, aber für die ältere Zeit ist dies sehr wahrscheinlich, sowie für die aus edlem Geschlecht Stammenden, wie Abälard, Richer, Villehardoiun, Bernhard von Clairvaux; von anderen ist die germanische Abkunft ausdrücklich berichtet. Alcuin war z. B. aus edlem angelsächsischen Geschlecht; Lanfranc, durch den die Schule des Klosters Bec berühmt wurde, Langobarde; Hincmar v. Reims aus einem edlen germanischen Geschlecht des nordöstlichen Frankreichs; Hugo von St. Victor, der Begründer der mystischen Theologie, stammte aus dem Hause der Grafen von Blankenberg; Prudentius, eigentlich Galindo, und der klassisch gebildete Theodulf von Orléans waren gotischen Ursprungs.

Sehr genau sind wir über Bernhard von Clairvaux unterrichtet. Er stammte aus einem edlen Rittergeschlecht Burgunds und war auf dem Schlosse Fontaines bei Dijon geboren. Sein Vater Tecelin (germ. Tezo, dsch. Teetz, Tetzel), ein berühmter tapferer Ritter seiner Zeit, führte wegen seiner Haarfarbe den Beinamen Sorus d. h. der Rötliche. Seine Mutter, eine Tochter von Bernard de Montbard et d’Humberg, war aus dem Geschlecht der alten burgundischen Herzöge. Über das Äußere Bernhards ist uns eine Schilderung aus seinem zwanzigsten Lebensjahr überliefert. „Seine Schönheit“, heißt es, „war zugleich kraftvoll und milde und zog aller Blicke auf sich. Er war wohlgestaltet und etwas über mittelgroß. Sein Haar war blond, der sprossende Bart fast rötlich. Er hatte eine außerordentlich zarte Haut und leicht rosige Wangen. Seine blauen Augen, in denen die Reinheit der Engel und die Unschuld der Tauben wohnte, verbreiteten über sein Gesicht einen milden Glanz“.16

5. DIE BILDENDE KUNST

Während man früher der Ansicht war, daß die Germanen alle Kunstentwicklung der Anregung und Tradition vonseiten der römischen Antike verdanken, bereitet sich allmählich ein Umschwung in der kunstgeschichtlichen Betrachtung vor. Man beginnt, den Kunststil der Germanen zur Zeit der Völkerwanderung näher zu erforschen, vorurteilslos in seiner Eigenart zu schätzen und zu erkennen, daß seine Elemente auf die Kunstentwicklung des Mittelalters von größtem Einfluß gewesen sind. Historische Nachrichten und erhaltene Reste legen sicheres Zeugnis ab für eine reiche und selbständige Schmuck- und Zierkunst, für das Vorhandensein von Waffen- und Goldschmieden, für einen eigenartigen Stil in dem Bau von Königshallen, Gerichtslauben und Gotteshäusern.

Schon früh zeigten die Westgoten in Südfrankreich und Spanien eine rege Bautätigkeit. Venantius Fortunatus bezeugt ausdrücklich, daß es bei ihnen Baumeister barbarischer Abstammung von großer Geschicklichkeit gab, und eine andere Nachricht aus dem Leben des Heiligen Audoen besagt, daß sie eine eigene Bauart „manu gotica“ besaßen. Venantius, der gegen die Barbaren von einer erfreulichen Vorurteilslosigkeit beseelt ist — überhaupt könnten sich die modernen Romanen an ihm und Gregor von Tours ein Beispiel nehmen —, rühmt die fränkischen Häuser aus Holz, die getäfelten Stuben und die hochbogigen Laubengänge in einem kleinen Gedicht, das nach Wilsers Übersetzung17 folgendermaßen lautet:

„Weichet, ihr Wände, gemauert aus steinernen Blöcken! ich ziehe,
    Dank Baumeisters Geschick, vor euch das hölzerne Haus.
Trefflich verwahren vor Wind und Wetter getäfelte Stuben,
    Wo nicht klaffenden Spalt duldet des Zimmermanns Hand.
Schutz, wie ihn sonst nur gewähren Stein, Mörtel und Sand im Vereine,
    Einzig erbaut und allein ihn der gütige Wald.
Luftig umgeben den Bau im Geviert hochbogige Lauben,
    Zierlich vom Meister geschnitzt, reizvoll in spielender Kunst.“

Auch sind uns die Namen einiger Künstler aus den ersten Jahrhunderten erhalten. Im Jahre 522 wird der Abt Ildebert als Architekt in der Normandie erwähnt, ferner Geimmo, Andulf, Runwald, Dandulf, Magulf, Gerlaic, Wido.

Wie aus den Nachrichten des Gregor von Tours, des Fredegar und zahlreicher Heiligengeschichten hervorgeht, ließen die fränkischen Könige, Königinnen und Herzöge schon früh einen regen Bausinn zutage treten. Die Erbauung zahlreicher Kirchen und Klöster wird auf ihre Anregung und Freigebigkeit zurückgeführt.

In den frühen Zeiten des Mittelalters wirkte im Norden noch die römisch-altchristliche Baukunst fort, aber seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts sehen wir hier einen neuen Stil sich entwickeln, den romanischen Stil, der eigenartig neue Elemente in der Gewölbekonstruktion und Dekorationsweise hinzufügt, die entweder neu erfunden wurden oder Fortentwicklungen altgermanischer Bau- und Zierweise sind. Die ersten Anfänge dieses Stils sind in Deutschland und in der Normandie zu suchen, und in der Lombardei, wo er fast gleichzeitig auftritt, zeigt er sich vom Norden beeinflußt. In der Dekoration deuten auf germanischen Einfluß das Würfelkapitäl, phantastische Tier- und Menschengestalten, das geschwungene und gewundene Blattwerk. In den Klostergängen hat sich der letzte Rest der alten Lauben erhalten, die in oberitalischen und südfranzösischen Städten auch heute noch die Straßen entlang unter den Häusern sich hinziehen, ähnlich wie es Fortunatus von den fränkischen Wohnungen beschreibt. Fr. loge, it. loggia ist germ. laubja.

Die meisten romanischen Kirchen waren anfangs aus Holz erbaut, auch die von Herlijn begründete Abtei Bec war aus Holz errichtet. Diese aus dem Holzstil erwachsenden technischen Bedürfnisse übertrugen sich auf die Steinbauten, wie Seesselberg, Wilser und andere gezeigt haben. Daraus entstanden die charakteristischen Formen des romanischen Stils.

Besonders tätig auf französischem Gebiete war ein Italiener, Wilhelm von Jvrea, aus langobardischer Familie, der 990 Abt in Dijon wurde. Richard II. berief ihn später nach der Normandie, wo er bis zum Jahre 1030 etwa 40 Klöster und Kirchen errichtete. Von den Baumeistern dieser Periode sind noch zu nennen: Audebert in Lyon, Ingelrammus, Abt Morard, Radolphus, Suger von St. Denis. Das gleichzeitige Auftreten des romanischen Baustils in Niedersachsen, in Nordfrankreich bei Normannen und Franken, in Italien bei den Langobarden ist ein deutlicher Hinweis, daß die Germanen die Träger dieses Stils waren, wenn auch manche Elemente desselben aus dem Altertum herrührten.

Daß der gotische Baustil germanischen Ursprungs ist, wird heute von allen Kunsthistorikern anerkannt. Seine Entstehung fällt in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts und ist besonders in dem eigentlich fränkischen Gebiet nachzuweisen, in der Ile-de-France, Valois, Champagne. Die wichtigsten Baumeister dieser Periode stammen aus diesen Provinzen, wie Robert von Luzarches, Pierre von Montereau, Eudes (= Odo) von Montreuil, Raoul von Coucy, Thomas von Cormont, Jean von Chelles, Hugo von Vezélay, Hugo li Bergier, Villard de Honnecourt und Meister Renaud.

Was die plastische Kunst anbetrifft, so finden wir um 600 einen fränkischen Goldschmied in Limoges, ferner den Holzbildhauer Engelwin, den Kunstschmied Baldomer; im 8. Jahrhundert Airard, der das nördliche Portal von St. Denis erbaute, Tutilon, der 880 in Metz arbeitete, Theudon de Chartres, Odoranne und Wilhelm aus Sens, Sigon aus Fougères, die im 9.—12. Jahrhundert lebten. Unter den Klöstern war besonders St. Denis eine hervorragende Stätte der Goldschmiedekunst.

Die Malerei nahm unter Karl dem Großen einen bedeutenden Aufschwung, aber mehr auf austrasischem als neustrischem Gebiete. Es sind viele Künstler dieser Zeit dem Namen nach bekannt: Bruun, Maler in Fulda; Ingobert; Godescalc, der früheste Maler fränkischer Miniaturen, Folchard in St. Gallen, Madalulfus in Fontanelle. Bei Godescalc haben die Figuren schon eignes Leben und bestimmten Ausdruck, sein jugendlicher Christus trägt blonde Haare und deutsche Züge.18 Daß die französischen Miniaturen des Mittelalters alle den blonden Typus darstellen, wurde schon erwähnt.

Was den Ursprung der französischen Musik betrifft, so ist es schwer, festzustellen, wie weit antike und gallische Melodien die französische Musik beeinflußt haben, doch ist es bezeichnend, daß die Benennungen der wichtigsten Musikinstrumente des Mittelalters aus dem Germanischen stammen, harpe = Harfe, luthe = Laute. Karl der Große gründete im Fränkischen Reich Musikschulen, und manche als Maler und Gelehrte bekannte Mönche jener Zeit waren zugleich berühmte Sänger und Orgelspieler, z. B. Sigo, ein Meister des Orgelspiels, aus der Akademie von Chartres. Musiktheoretisch sind von Bedeutung Hugo von Paris und Hucbald von St. Amand. Im übrigen waren die Troubadours und Trouvères auch zugleich Sänger und Spielleute, und besonders bildeten die Fürstensitze der Provence Mittelpunkte der weltlichen Musikpflege. Der erste bedeutende neuere Musiker war der Burgunder Goudimel, der auch in Italien wirkte und der Lehrer Palestrinas war. Ich werde später zeigen, daß fast alle französischen Musiker der neueren Zeit germanischer Abstammung sind, meist Burgunder oder Normannen, weniger Franken, deren geringere musikalische Begabung schon aus Paulus Diaconus bekannt ist, da sie von den Langobarden Sänger und Spielleute erbaten. Auch in der Folge ist Frankreich von Italien (Lully, Cherubini, Spontini) und Deutschland her (Gluck, Kreutzer), sowie durch jüdische Musiker, wie Halévy, Meyerbeer, stark beeinflußt worden.

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1 F. Dahn, Urgeschichte der germanischen Völker, II, S. 268.
2 E. A. Schmidt, Geschichte Frankreichs, I, S. 22.
3 E. Th. Gaupp, Über die germanischen Ansiedelungen in den Provinzen des römischen Weltreichs, 1844. — Ich folge hier im wesentlichen diesem Buche, das immer noch die beste Darstellung des Gegenstandes enthält.
4 A. von Peetz, Erlebt und Erwandert, 1902, S. 15—16.
5 F. C. von Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. I, S. 322.
6 A. Thierry, Essai sur l’histoire de la fondation et des progrès du tiers état, 1853, S. 19.
7 E. A. Schmidt, Geschichte Frankreichs, I, S. 300.
8 W. Schäffner, Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs, Bd. I, S. 228.
9 F. Dietz, Grammatik der romanischen Sprachen, 1882, S. 53.
10 Nyrop, Grammaire historique de la langue française, 1899, S.17.
11 Ob die Namen Arouet und Diderot auch im Neuhochdeutschen vorkommen, habe ich nicht ausfindig machen können. Sie würden hier etwa Arwitt und Dieteroh lauten. Bemerkt möge noch werden, daß die Mutter von Racine Sconin hieß, von gm. Scunja, dsch. Schön.
12 F. Kluge, Grundriß der romanischen Philologie, 1886, Bd. I, S. 393.
13 E. Langlois, Table des noms propres de toute nature compris dans les chansons de geste, 1904.
14 O. L. Wolff, Altfranzösische Volkslieder, 1831.
15 J. Houdoy, La beauté des femmes dans la littérature et dans l’art du XII. au XVI. siècle, 1876. — Jean Loubier, Das Ideal der männlichen Schönheit bei den altfranzösischen Dichtern des XII. und XIII. Jahrhunderts, 1890.
16 L. Vacanard, Vie de Saint Bernard, 1897, S. 20—21.
17 L. Wilser, Die Germanen, 1903, S. 395. — Wilser hat sich um die Geschichte der Germanen außerordentlich große Verdienste erworben, und in dem angeführten Werk die Ergebnisse seiner fünfundzwanzigjährigen Forscherarbeit übersichtlich dargestellt. Schon vor Jahren wies er auf die große Bedeutung hin, die der Frankenstamm für die politische Entwicklung Galliens gehabt hat; auch zeigte er, daß die meisten Namen der französischen Troubadours germanischen Ursprungs sind.
18 Schnaase, Geschichte der bildenden Kunst im Mittelalter, Bd. I, S. 634.

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