Die leiblichen Merkmale der Germanen

Kopf des Reiters im Dom zu Bamberg

Nach dem Eindringen der Germanen in den Bereich der hellenistisch-römischen Mittelmeerwelt und ihrer Ränder sind diese Germanen nun oft nach leiblichen und seelischen Zügen von hellenischen und römischen Schriftstellern beschrieben und später auch von römischen Bildhauern durch Bildwerke dargestellt worden, so daß von jetzt ab solche Zeugnisse die vor- und frühgeschichtlichen Zeugnisse der Gräberfunde ergänzen können. Die ersten Germanen, deren römische Heere ansichtig wurden, die Kimbern und Teutonen, finden sich bei Plutarchos in dessen „Marius“ (XI) beschrieben als Menschen hohen Wuchses mit blondem Haar und blauen Augen. Die Völkerwanderung verbreitet dann diesen Menschenschlag des Germanentums über ganz Mittel-, West- und Südeuropa bis nach Nordwestafrika, so daß jetzt die Südländer um so lebhafter Schilderungen dieses Schlags niederschrieben, je fremder und einzigartiger er ihnen erschienen sein muß. . . .

Von den in diesem frühgeschichtlichen Zeitabschnitt gebotenen Zeugnissen über die dem Germanentum eigenen Rassenmerkmale sollen nun zuerst die Berichte von Schriftstellern verwendet werden. Dabei sollen im allgemeinen die Belegstellen nicht genauer mitgeteilt werden, sondern nur die Namen der meist hellenischen und römischen Schilderer, weil die Belegstellen über die leiblichen Züge der Germanen schon öfters ausführlich zusammengestellt worden sind.1

Die beträchtliche Körperhöhe der Germanen wird betont, wobei aber nicht zu übersehen ist, daß die Schilderer meistens als Vertreter kleiner-gewachsener südeuropäischer Bevölkerungen urteilen. Die Germanen selbst haben aber hohen Wuchs geschätzt. Den hohen Wuchs aller Germanen erwähnt Tacitus und später der byzantische Geschichtsschreiber Prokopios (Wandalenkrieg I, 2, 2), den hohen Wuchs der Sweben erwähnt Caesar, den der Bastarnen Livius, den der Alemannen Ammianus Marcellinus. Sidonius Apollinaris erwähnt die 7 Fuß hohen (septipes) Burgunder.2 Den hohen Wuchs schon der Knaben und Jünglinge führt Tacitus von den Batavern an. Der hohe Wuchs der Kimbern ist nach Plutarchos erwähnt worden. Die Einleitung zu dem Salischen Gesetz der Franken, wahrscheinlich im 6. Jahrhundert verfaßt, nennt die Franken hochgewachsen.3 Dieser hohe Wuchs wird auch von den mittelalterlichen deutschen Nachkommen der Germanen aus der Zeit der Schlacht von Tours und Poitiers (732) berichtet: den Ostfranken (Austrasiern: gens Austriae) schreibt Roderich (Rodericus) in seiner „Geschichte der Araber“ (XIV) kraftvollen Körperbau zu (membrorum praeeminentia valida), die Deutschen (gens Germana) ragten hervor durch Herzhaftigkeit und Gestalt (corde et corpore praestantissima).4 Die hohe Gestalt der Deutschen und der niederfränkischen Flamen erwähnt auch noch der aus dem 14. Jahrhundert stammende provenzalische Elucidari de las proprietatz de totas res naturals.5

Die hellen Augen der Germanen, meist als blaue Augen beschrieben, erwähnen Tacitus und andere Schriftsteller. Die lateinischen Eigenschaftswörter zu ihrer Kennzeichnung sind meistens caesius und caeruleus; das griechische Wort glaukós. Sidonius Apollinaris vergleicht die Augen der germanischen Heruler in seinem Briefe aus Burdigala (VIII, 9, 5) mit der Farbe tief wurzelnden Seegrafes (algoso prope concolor profundo).6 Diese hellen Augen der Germanen waren gefürchtet wegen ihrer Schärfe (acies oculorum bei Caesar, Gallischer Krieg I, 39): die römischen Soldaten mußten an diese scharfblickenden Augen erst gewöhnt werden. Auch Tacitus, Germania 4, spricht von den drohenden Augen der Germanen (truces oculi). Hiermit ist der „schreckliche Blick“ gemeint, der innerhalb der nordischen Rasse manchen Menschen eigen ist und den die „Rassenkunde des deutschen Volkes“ zu kennzeichnen versucht hat. Wesentlich ist dabei der Gegensatz der dunklen Sehöffnung (Pupille) gegenüber deren heller Umgebung. Bei dunklen Rassen wirkt die Augenmitte, Sehöffnung und Regenbogenhaut (Iris) als eine dunkle Kreisfläche und hat darum weniger Ausdruckskraft. In der Erregung, wenn die nordischen Augen, denen der „schreckliche Blick“ eigen ist, ihr Gegenüber scharf anblicken, mag sich die Sehöffnung öfters erweitern und sich nun um so mehr scharf abgegrenzt und dunkel gegen die helle, blaue oder graue Umgebung abheben. So entsteht die acies oculorum, auch in der milderen Form der „strahlenden Augen“ beschrieben, die aber nicht nur von den Germanen berichtet wird, sondern gelegentlich von Menschen, vor allem führenden Männern, aus den Frühzeiten aller Völker indogermanischer Sprache, so auch noch aus der Spätzeit Roms von dem blonden, blauäugigen (nach seiner Kopfform vorwiegend nordischen) Octavianus Augustus, dem Kaiser. Die frühen Perser schätzten „scharfblickende“ Augen.

Die acies oculorum ist auch von den Germanen selbst bemerkt worden und wurde von den Nordgermanen als orm i auga, die „Schlange im Auge“, bezeichnet. Daher die Kennzeichnung des Helden in Richard Wagners „Walküre“: „Der gleißende Wurm glänzt auch ihm aus dem Auge.“ — Es gab einen Dänenkönig Sigurd mit dem Beinamen orm i auga. Der Jarl (Herzog) wird im „Merkgedicht von Rig“ in der Edda nach seinem Blick gekennzeichnet: „blitzeschleudernd wie Schlangenaugen“. Von Sigurd (Siegfried) wird berichtet, er habe so scharf blicken können, daß niemand wagte, unter seine Brauen zu sehen.7 Die nordgermanischen Bezeichnungen für diesen Blick waren otoll und hvoss. Vor Swanhilds Blick scheuten nach der Sage die Pferde, die sie zerreißen sollten, so daß man ihr einen Sack über die Augen warf.8 Auch der mittelalterliche dänische Schriftsteller Saxo Grammaticus, der Erzählungen aus der frühgermanischen Welt gesammelt hat, erwähnt wieder den „schrecklichen Blick“ (acritas visus) hervorragender Männer.9

Die hellen Haare der Germanen werden als flavus oder rutilus bezeichnet, wobei flavus eine helleres, rutilus ein mehr rötliches Blond andeuten mag; hellenische Schriftsteller gebrauchen die Wörter xanthós und pyrrhós, deren Farbwerte sich ungefähr ebenso zueinander verhalten wie flavus zu rutilus.10 Die so bezeugte Blondheit der Germanen ist aber nicht so aufzufassen, als ob es unter ihnen gar keine Dunklen gegeben hätte. Daß es unter den Unfreien viele Dunkle gab, geht aus dem häufigen Auftreten des Namens Svartr (schwarz) bei unfreien Knechten11 hervor und vor allem aus der kennzeichnenden Schilderung der Stände in der Rigsþula, dem „Merkgedicht von Rig“ in der Edda. Aber die Unfreien zählten nicht zum Volke. Gelegentlich muß auch dunkle oder dunklere, etwa stärker dunkelblonde Haarfarbe bei germanischen Freien vorgekommen sein; Belege hierfür hat Koehne zusammengestellt.12 Allerdings ist bei solchen Angaben zu bedenken, daß helle Völker dazu neigen, einen Menschen mit einer Haarfarbe von dunklerem Blond oder mittlerem Braun schon „schwarz“ zu nennen, ebenso wie dunkle Völker den gleichen Menschen schon „blond“ zu nennen geneigt sind. Im ganzen sind die Berichte über die germanische Blondheit etwa so zu werten, wie Berichte heutiger Südddeutscher aus den dunkleren Gebieten Süddeutschlands über die Blondheit nordwestdeutscher Bevölkerungen oder Berichte von Franzosen oder Italienern über eine einheitliche Blondheit der Schweden. Der Berichtende geht in seiner Erinnerung dabei in der Regel über das seltenere Vorkommen von Dunklen in diesen Bevölkerungen hinweg. Anderseits darf die Aussage eines Tacitus (Germania, 4) über die „reine und nur sich selbst gleiche“ Artung der Germanen auch nicht übersehen werden. Dunkle, ja schon bräunliche Haarfarbe muß unter den Freien aufgefallen sein, denn sie wird öfters besonders erwähnt und gilt ja auch bis etwa um 1600 bei allen Völkern germanischer Sprache als häßlich.13 Bezeichnend ist die nach verschiedenen Seiten des germanischen Wesens zielende Bedeutung des englischen Wortes fair, das sowohl „blond“ wie „schön“ wie „ehrenhaft“ bedeutet, und bezeichnend, daß der sehr hochgewachsene dunkelhaarige deutsche Kaiser Heinrich III., zubenannt der Schwarze, von dem Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld als „zwar dunkel, aber doch schön“ geschildert wird.14

Die Weichheit des hellen Haares wurde besonders geschätzt. Den Germanen war eine besondere Haarpflege eigen, aus der die Erfindung der Haarbürste und der Seife hervorgegangen ist: die romanischen Wörter für diese Dinge sind germanischer Herkunft (brozza, brosse zum Worte „Borste“, von dem sich Bürste ableitet; savon über ein lateinisches sapo von einem germanischen Worte saipon).15 Der Sinn der nordischen Rasse für leibliche Reinlichkeit äußert sich auch in der Haarpflege der Germanen. In der Saga von den Jomswikingen bittet der zur Hinrichtung geführte Wiking Swein, den Schwerthieb so zu führen, daß sein Haar nicht befleckt werde, das er sein Leben lang gepflegt habe. Dabei wird sein seidenweiches Haar beschrieben. Zur germanischen Vorstellung vom edlen und schönen Menschen gehörte langes, blondes Haar. Lang getragenes Haar gehörte bei den Indogermanen zum Anblick des edelgeborenen Freien; Perser, Hellenen, Kelten und Germanen haben diese Sitte am längsten bewahrt. Die Unfreien trugen im frühen Mittelalter kurzgeschnittenes Haar (woher sich das bayerische Schimpfwort „G’scherter“ ableitet).

Zum Kampfe färbten anscheinend gerne einige keltische und germanische Stämme das Haar rot, wahrscheinlich um die schreckenerregende Fremdartigkeit für dunkle südeuropäische Gegner zu verstärken. Ammianus Marcellinus (27, 2, 3) schildert badende Germanen, Alemannen, die ihr Haar vor einem Kampfe rot färben.

Die Blondheit der Germanen wird auch durch Funde von Moorleichen wieder erwiesen, die meist blonde und rötliche Haarfarbe zeigen.16

Die helle Haut der Germanen gehört zum Merkmalbilde eines blonden, helläugigen Menschenschlags. Sie wird aber besonders erwähnt von dem römischen Naturforscher Plinius dem Jüngeren, der die Nordeuropäer (historia naturalis II, 80) blond und hellhäutig (candida cute) nennt, ferner von dem Kirchenvater Hieronymos (etwa 340-420) in dessen Vita Hilarionis (22): dort wird die hellhäutigkeit (candor corporis) der Germanen betont,17 und endlich von dem byzantinischen Geschichtsschreiber Prokopios in dessen „Wandalenkrieg“ (I, 2, 2) im 6. Jahrhundert.18 Die Einleitung zum Salischen Gesetz der Franken (Lex Salica) aus dem 6. Jahrhundert hebt auch die Hellhäutigkeit (candor) der Franken hervor.

Die Germanen schätzten ihre helle Haut hoch, besonders beim weiblichen Geschlecht. In der Edda wird Gerd beschrieben, die Riesentochter, deren „weiße Arme See und Land erleuchten“. Die „schneeweißen“ Arme germanischer Frauen werden in Dichtungen öfters gepriesen, ein Zug, der auch in der Frühzeit, ja noch in späteren Zeitabschnitten anderer Völker indogermanischer Sprache wiederkehrt, so auch bei Persern, Hellenen und Italikern. Den Südländern fiel besonders die leuchtende Rosigkeit der Haut auf, der Zug, der mit „Milch und Blut“ gekennzeichnet wird, ferner das Durchschimmern des Blutes und der Adern der bläulichen Venen durch die Haut, ein Zug, der auch die Bezeichnung vom „blauen Blut“ des Adels bewirkt hat: der gotische Adel des mittelalterlichen Spaniens fiel den dunklen Spaniern durch sein „blaues Blut“ (sangre azul) auf. Der spätlateinische Dichter Venantius Fortunatus, der gleich zu erwähnen sein wird, schildert bei einem Germanenmädchen den Reiz, der im Gegensatz des hellen Halses zu den rosig leuchtenden Wangen beruhe.19 . . .

Schilderungen einzelner Germanen und Germaninnen stimmen mit den angeführten Berichten überein; einige von ihnen sollen hier angeführt werden:

Von Magnus Felix Ennodius, dem Bischof von Pavia, wird Theoderich I., der Große, Herrscher der Westgoten von 419 bis 451, der Dietrich von Bern der Sage, beschrieben: der sehr hohe Wuchs, die Weiße und Röte seiner Gesichtshaut, die strahlenden Augen.

Vom westgotischen Herrscher Theoderich II. (453-466) findet sich eine Schilderung bei Sidonius Apollinaris, dem Bischof von Arverni (Clermont-Ferrand) . . . „Betrachtet man sie näher, so überzieht sie sich mit jugendlicher Röte; denn diese Farbe ruft bei ihm nicht der Zorn hervor, sondern die Zurückhaltung (verecundia).“ . . . Sidonius Apollinaris beschreibt bei Theoderich II. ferner die Haltung: die Brust trete hervor, der Leib zurück, hat also die nordrassische Schlankheit wahrgenommen und die kriegerische Haltung eines germanischen Fürsten.20

Ausonius (etwa 310-395), ein lateinisch schreibender Redner und Dichter aus Bordeaux, beschrieb in einem Gedichte ein gefangenes Germanenmädchen Bissula, das aus der Gegend der Donauquelle stammte, ein Mädchen von großem Liebreiz mit rötlich-blondem Haar und blauen Augen und mit „Rosen und Lilien“ auf den Wangen.21

Venantius Fortunatus (530-600), aus Treviso in Norditalien, Bischof von Poitiers im Frankenreiche, einer der letzten lateinischen Dichter, hat, wie oben angeführt, die Helligkeit des Halses und die rosige Farbe der leuchtenden Wangen einer germanischen Dienerin beschrieben. Er hat ferner ein Gedicht verfaßt über den zu seinen Lebzeiten erfolgten Fall des Thüringerreiches, das 531 der fränkischen Herrschaft unterworfen wurde, das Gedicht Ad Amalafridum (De excidio Thoringiae). Darin findet sich die Schilderung von Frauen des thüringischen Stammes, die bei einer Belagerung umgekommen waren:

„Die durch goldigen Schimmer des Haars übertrafen das Gold selbst,
Frauen, so weiß wie Milch, lagen zu Boden gestreckt.“22

Dichtungen des 9. Jahrhunderts in frühmittelalterlichem Latein beschreiben Züge der Gemahlin Karls des Großen, Liutgardis, und seiner Töchter. Hier wird wieder, und zwar bei Liutgardis, der reizvolle Gegensatz des hellen Nackens gegenüber der rosigen Gesichtshaut betont, die „schneeweiße“ Schläfe und über ihr das rötlich-blonde schimmernde Haar. Die Haare der Töchter werden weißblond genannt (niveis capillis), ihr Glanz sei stärker als der des Goldes.23

Eine normannisch-französische Dichtung des 12. Jahrhunderts von Robert Wace, der Roman de Rou, der die Taten der Normannen unter ihrem Herzog Rollo, dem Eroberer der Normandie, besingt, schildert (Vers 1314-1324) den Sohn Rollos, Wilhelm Langschwert, als einen hochgewachsenen, hochbeinigen, breitschultrigen, breitbrüstigen und schmalhüftigen Menschen, hellhäutig, langhaarig und offen blickend. Die Anführung der Breitschultrigkeit, verbunden mit Schmalhüftigkeit, betont Merkmale des erwachsenen Mannes nordischer Rasse, während der fälischen Rasse ein gleichmäßig breitbleibender hoher Wuchs eigen ist. Richard, der Enkel Rollos, wird im Roman de Rou (Vers 1762/63) als Rotblonder geschildert mit heller Haut und offenem Gesicht. „Er konnte dänisch sprechen und normannisches Französisch“. Manche Beinamen der Normannen im Roman de Rou bezeugen die Blondheit oder Rotblondheit der Normannen, so auch der Name Wilhelms des Roten (Willeame le Rus), Königs von England und Herzogs der Normandie.

Robert Guiscard (1015-1085), der Sohn des Normannen Tancred von Hauteville, der zum Herzog von Apulien, Kalabrien und Sizilien wurde, wird von Anna Komnena, der byzantinischen Kaiserstochter, im 10. Abschnitt des ersten Buches ihrer „Alexiade“ beschrieben: er war hochgewachsen, breitschultrig, gewandt in Bewegungen, blond, blauäugig und schön von Gesicht.24 . . .

Da beide Rassen, die nordische wie die fälische, blond und helläugig, da beide auch hochgewachsen sind, mußten die Germanen, zumal wenn andere Rasseneinschläge unter ihnen selten waren, den Südländern der hellenistisch-römischen Zeit und der römischen Kaiserzeit als „eigenartig, rassenrein und nur sich selber gleich“ erscheinen, wie Tacitus, Germania 4, sich ausdrückt.25 Unterschiede innerhalb dieses germanischen Menschenschlags haben die hellenischen und römischen Schriftsteller wenigstens im Leiblichen nicht bemerkt. Im ganzen muß doch die nordische Rasse im Anblick des Germanentums überwogen haben. Das scheinen die Bildwerke auszusagen, und das mag aus einer Stelle bei Tacitus (Germania, 4) hervorgehen, die den Germanen „zum Angriff geschaffene Gestalten“ (corpora ad impetum valida) zuschreibt — was nur von den schlank-hohen, beweglichen Gestalten der nordischen Rasse gilt, nicht von den breit-hohen und schweren der fälischen. Die nordische Rasse erscheint ja schon in ihrer Leibesgestaltung als die Rasse des kühnen Angriffs, die fälische als die der unerschrockenen Standhaftigkeit. Vielleicht darf man auch das Wort proceritas bei Tacitus, Germania 20, ein Wort, das den Wuchs der Germanen kennzeichnen soll, mit „Schlankheit“ übersetzen, mit „schlank-hoher Gestalt“ und nicht nur mit „hoher Gestalt“; die Germania-Ausgabe von Fehrle (1929) faßt proceritas als „Schlankheit“ auf. . . .

Die beiden Grundrassen des Germanentums werden vielleicht auch von der germanischen Göttersage geschildert, und zwar als die schlank-hohen Asen gegenüber den ihnen an Körperhöhe noch überlegenen breit-hohen Riesen. Die Riesen werden von den Asen überwunden, wie wahrscheinlich manche megalithkeramische Gruppe fälischer Rasse durch nordrassische Schnurkeramiker. Auf wiederholte Zusammenstöße zweier solcher Gruppen während der Jungsteinzeit könnte also dieser Zug der Sage zurückgehen.

Die Zwerge der germanischen Märchen, die Heinzelmännchen, Erdmännchen, Wichtelmännchen, immer als kleine, untersetzte Gestalten mit runderen, breiteren Gesichtern und stumpfer, dicklicher Nase gedacht, dabei immer dunkelhaarig: ihr Bild ist vielleicht dem Merkmalbilde der ostischen (alpinen) Rasse durch nordische und nordisch-fälische Stämme der Jungsteinzeit und Bronzezeit entnommen worden.

Die nordische Rasse, noch stark vorwiegend bei den frühmittelalterlichen Germanen, läßt sich innerhalb aller Bevölkerungen germanischer Sprache bis auf den heutigen Tag als ein wesentlicher Einschlag erkennen, so vor allem in den führenden Geschlechtern dieser Völker. Nach seiner Zusammenstellung der leiblichen Merkmale der deutschen Herrscher des Mittelalters durfte Kemmerich „die überwiegende Mehrzahl der deutschen Herrscher der Rasse nach Germanen“ nennen.26 In der Erzählung De Duobus Amantibus aus dem Jahre 1444 schildert Enea Silvio Piccolomini, später Papst Pius II., ein Italiener, der sich in den Jahren 1432 bis 1445 viel in Deutschland aufgehalten hatte,27 die Begeisterung einer Italienerin beim Anblick deutscher Edelleute aus dem Gefolge Kaiser Sigismunds bei deren Aufenthalt in Siena. Die Italienerin beschreibt diese Deutschen so, daß ihr überwiegend nordischer Anblick erkennbar wird: „Wo findet man unter allen Völkern solche Menschen? Sieh an, wie sie alle mit hohen Gestalten aufrecht gehen! Betrachte diese Haartracht und die weich gelockten Haare! Welche Gesichter tragen sie auf milchweißem Halse und wie sie den Kopf über der starken Brust halten! Anders ist das Geschlecht dieser Menschen als das, welches unser Land erzeugt. Sie sind der Götter Same oder ein vom Himmel gesandtes Geschlecht. O gäbe das Glück mir einen Gatten vom Schlage dieser Männer!“ . . .


1 Vgl. Barth, Teutschlands Urgeschichte, Bd. II, 1820, S. 237 ff.; Prichard, Naturgeschichte des Menschengeschlechtes, Bd. III, 1842, S. 441; Lindenschmit, Handbuch der deutschen Altertumskunde, Bd. I, 1880-89, S. 143; Dictionnaire des Sciences Médicales, 4. Reihe, Bd. 4, 1881, S. 723 ff.; Gummere, Germanic Origins, 1892, S. 57 ff.; Schultheiß, Geschichte des deutschen Nationalgefühls, Bd. I, 1893, S. 15 ff.; Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde, Bd. IV, 1900, S. 142 ff.; Bremer, Ethnographie, Pauls Grundriß der germanischen Philologie, Bd. 3, 1900, S. 764; Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften, 3. Supplementband, 1918, S. 562; Zeuß, Die Deutschen und ihre Nachbarvölker, 1837, Neudruck 1925, S. 49 ff.

2 Monumenta Germaniae historica, auctores antiquissimi, Bd. VIII, 1887, S. 136.

3 Lex Salica, herausgegeben von Geffcken, 1898, S. 95.

4 Rodericus Toletanus, Historia Arabum, 1625, S. 27. Roderich folgt dabei älteren Berichten; vgl. Jahrbücher der Deutschen Geschichte: Breysig, Die Zeit Karl Martells, 1869, S. 68.

5 Bartsch, Chrestomatie Provençale, 1868, S. 362; Appel, Der provenzalische Lucidarius, Zeitschrift für romanische Philologie, Bd. 13, 1889, S. 241.

6 Monumenta Germaniae historica, auctores antiquissimi, Bd. VIII, 1887, S. 136.

7 Völsunga Saga, Abschnitt 22; vgl. auch Þidreks Saga, die Sage von Dietrich von Bern, Abschnitt 185 (übersetzt in Sammlung Thule, Bd. 22, S. 233) und in der Edda Helgakviþa Hundingsbana I, 6.

8 Völsunga Saga, 40.

9 Saxonis Grammatici Historia Danica, herausgegeben von Müller und Velchow, Bd. I, 1, 1839, S. 70.

10 Vgl. de Mortillet, Formation de la Nation Française, 1897, S. 117; Günther, Rassengeschichte des hellenischen und des römischen Volkes, 1929, S. 22 f.; S. 90 ff.

11 Weinhold, Altnordisches Leben, 1856, S. 31 ff.; vgl. Eyrbyggjasaga, 26; Njalssaga, 36; Havarðarsaga, 17; Reykdölasaga, 11; Fljotsdölasaga, 37; Finnbogasaga, 32; Landnamabok II, 24.

12 Koehne, Zur Haarfarbe der Bewohner Deutschlands in der germanischen Urzeit, Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. XX, 1928, S. 433 ff.

13 Léon Gautier, La Chevalerie, 1883, S. 205 ff., S. 375 ff.; Günther, Adel und Rasse, 1927, S. 51 f., S. 55 f., S. 63 f.

14 Lamperti monachi Hersfeldensis opera, herausgegeben von Holder-Egger, 1894, S. 351.

15 Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 11. Aufl., herausgegeben von Goetze, 1934, S. 556.

16 Mestorf, Moorleichen, 42. Bericht des Schleswig-Holsteinischen Museums vaterländischer Altertümer bei der Universität Kiel, 1900, S. 10 ff.; 44. Bericht, 1907, S. 14 ff.; Aichel, Über Moorleichen, nebst Mitteilung eines neuen Falles, Verhandlungen der Gesellschaft für Physische Anthropologie, Bd. II, 1927, S. 63.

17 Sancti Eusebii Hieronymi opera omnia, herausgegeben von Migne, Bd. II, 1845, Sp. 39.

18 Prokop, Vandalenkrieg, übersetzt von Coste, S. 1.

19 Venantius Fortunatus: rosea facie lactea colla tullit.

20 Roßbach, Zwei Gotenfürsten als Persönlichkeiten und in ihrer äußeren Erscheinung, Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur, Jahrgang 16, 1913, S. 272/73, S. 278.

21 D. Magni Ausonii opuscula, Monumenta Germaniae historica, Auctores antiquissimi V, 2, 1883, S. 125-127.

22 Größler, Radegundis von Thüringen in den Dichtungen ihrer Zeit, Mansfelder Blätter, Bd. VIII, 1894, S. 107; Koebner, Venantius Fortunatus, seine Persönlichkeit und seine Stellung in der geistigen Kultur des Merowingerreiches, 1915, S. 49 ff.

23 Monumenta Germaniae historica, Poetae latinae medii aevi I, S. 370-372, Vers 184 ff., 215 ff., 252 ff.

24 Panzer, Italische Normannen in deutscher Heldensage, 1925, S. 13/14, S. 15.

25 Auch Prokopios, Wadalenkrieg I, 2, 2, betont die Gleichartigkeit aller Germanenstämme. Daß aber die von den hellenischen und römischen Schriftstellern geschilderte Gleichartigkeit keineswegs einen Einwand gegen die Ableitung der bronzezeitlichen Germanen aus drei verschiedenen Gruppen der Jungsteinzeit abgeben kann, wie Neckel, Kultur der alten Germanen (Handbuch der Kulturgeschichte, Erste Abteilung, 1934) dies auffassen möchte, muß aus der ganzen obigen Darstellung hervorgehen. Die bezeugte Gleichartigkeit erstreckt sich ja zudem auf Merkmale wie hohen Wuchs, helle Haut-, Haar- und Augenfarben, die für die nordische wie für die fälische Rasse kennzeichnend sind.

26 Kemmerich, Leibliche Merkmale mittelalterlicher deutscher Herrscher, Politisch-Anthropologische Revue, Bd. VI, 1907/08, S. 312.

27 Vgl. Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. II, 1928; Buyken, Enea Silvio Piccolomini, 1931.


This material was extracted from the following work:

Prof. Dr. Hans F. K. Günther, Herkunft und Rassengeschichte der Germanen (München: J. F. Lehmanns Verlag, 1935).

Karl Earlson
2003


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