Drittes Kapitel

Die Entwicklung der italienischen Stände und Städte

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ls die Langobarden Italien eroberten, setzten sie sich in Besitz der römischen Güter und machten sie sich zum Herrenstand in Land und Stadt. Nach den Untersuchungen von Leo, Troya, Hegel, Gaupp1) und anderen ist es unzweifelhaft, daß der größte Teil der italienischen Bevölkerung in Nord- und Mittelitalien verknechtet wurde und in Hörigkeitsverhältnisse überging, was nicht ausschließt, daß einzelne Römer im Besitz ihrer Güter blieben oder, was später häufig geschah, frei gelassen wurden.

In der neuen sozialen Gliederung haben wir im wesentlichen drei Schichten zu unterscheiden. Die Valvassori und Capitanei, die Bürger oder Cives und die zinspflichtigen Hörigen, zu denen auf dem Lande die Bauern und in den Städten die Handwerker gehörten.

Die ersteren waren unzweifelhaft germanischen Ursprungs. Sie bildeten den Feudaladel, der meist in den Kastellen wohnte, aber auch schon frühzeitig in die Stadt zog oder zugleich in Stadt und Land Besitzungen und Häuser hatte, wie aus der Geschichte von Genua und Florenz deutlich hervorgeht.

Auch die Bürger der Städte waren zum großen Teil, in der einen Stadt mehr, in der anderen weniger, germanischen Ursprungs. Dafür spricht besonders der Umstand, daß die Cives „Arimannen“ genannt werden, was der Ehrenname der wehrhaften freien Langobarden war. Die Bürger wurden auch „popolo grasso“ genannt, wie in Mailand, Genua, Bologna, Siena, Florenz, Piacenza. Zu ihnen gehörten die Kaufleute, die Arzte, die nichtadeligen Doktoren der Rechte und die angesehensten und reichsten Handwerker. Leo vermutet, daß „popolo grasso“ eine schlechte Übersetzung des deutschen Rachimburgen (= reiche Bürger) sei.2) Der „popolo minuto“ ging wohl aus den ursprünglich zinspflichtigen und hörigen italienischen Einwohnern der Städte hervor, die unter der Frankenherrschaft frei geworden zu sein scheinen, während die Hörigkeit der Landbewohner im zwölften und dreizehnten Jahrhundert aufgehoben wurde.

In den Städten wandten sich die Germanen schon früh dem Kunsthandwerk zu, namentlich wurden sie Münzer, Gold- und Waffenschmiede. Dafür sprechen eine ganze Reihe von Urkunden, die Leo anführt, worin Gold- und Waffenschmiede in Mailand und Pavia zusammen mit Lehensleuten und Edlen als Zeugen auftreten. Übrigens waren dies Beschäftigungen, die schon in der voritalischen Zeit von freien und edlen Germanen nicht verschmäht wurden.3)

Es ist daher eine wohlbegründete Ansicht, daß die Goldschmiedekunst, die in Oberitalien und in Toscana während des ganzen Mittelalters in hoher Blüte stand, nicht eine Fortsetzung antiker Tradition ist, sondern von den Langobarden mit ins Land gebracht und höher ausgebildet wurde. Für die historische Betrachtung ist dies insofern von großer Bedeutung, als eine ganze Reihe der hervorragendsten Künstler der Renaissance aus den Goldschmiedewerkstätten hervorgegangen ist.

Auch dem Handel wandten sie sich zu, wie die langobardischen Namen in alten Urkunden beweisen. Und um die Mitte des achten Jahrhunderts, schreibt Hartmann in seiner Geschichte Italiens im Mittelalter, bestand ein so zahlreicher Stand von freien und grundbesitzlosen Gewerbs- und Kaufleuten, daß ihre Kriegsdienstpflicht besonders geregelt werden mußte. Es waren Kaufleute, deren Gut so groß war, daß sie zu Roß und im Panzer wie die Voll-Hufener zu Felde ziehen mußten.4)

Die Langobarden gaben zwar ihre Sprache auf, nahmen römische Tracht und Sitten an, aber an ihrem angestammten Recht hielten sie mit großer Zähigkeit fest. Dies hängt mit ihrem starken Familien- und Sippenbewußtsein zusammen und dem darauf beruhenden Privatrecht in Ehe- und Erbschaftssachen. Die Germanen der Völkerwanderung hatten nur ein gering entwickeltes Nationalbewußtsein, das sich erst im Laufe einer längeren gemeinsamen staatlichen und kulturellen Entwicklung auszubilden pflegt. Um so stärker war das Gemeinschaftsgefühl der Geschlechter und Familien. Leo hat das germanische Privatrecht nicht ohne Grund als ein „völkerrechtliches Verhältnis“ bezeichnet. Der freie und selbständige Germane bildete mit seiner Familie und Sippe eine kleine Welt für sich, daher die Fehden zwischen Familien wie zwischen Völkern sich abspielen, und wenn wir im italienischen Mittelalter die Familien so häufig im Kampf miteinander und Frieden schließen sehen, wie zwei Völker, so ist das eine altgermanische Sitte. Die Kämpfe in Bologna, Florenz, Perugia und Rom weisen schon aus diesem Grunde auf den germanischen Ursprung jener Adelsfamilien hin.

Dieser Unabhängigkeitssinn des freien Germanen, ein Selbstherrscher, ein baro liber (Baron) zu sein, wie es in seinem Privatrecht so deutlich züm Ausdruck kommt, wurde der natürliche psychologische Quell für die Entwicklung des geistigen Individualismus in Kunst und Wissenschaft, als die Sitten sich verfeinert und die kriegerischen Leidenschaften sich beruhigt hatten. Daraus ging jene geistige Freiheit der Persönlichkeit hervor, die wir an der Renaissance so sehr bewundern, und die in dem schlichten Selbstbekenntnis Benvenuto Cellinis wie eine Naturtatsache zum Ausdruck kommt: „Ich würde immer nur mir selbst und niemand anders angehören, und wer mich brauchte, möchte mit mir übereinkommen.“

Neben dem langobardischen finden wir in Italien den Gebrauch von fränkischem, sächsischem und gotischem Recht. Im Bereich der römischen Kirche erhielt sich auch das römische Privatrecht, während das römische öffentliche Recht fast gänzlich zugrunde ging. Das langobardische Recht blieb bis ins dreizehnte, teilweise bis ins fünfzehnte Jahrhundert in Gebrauch.

Die Sitte der Langobarden, die Gerichte unter Bäumen abzuhalten, die veru-lubi genannt wurden, blieb bis ins elfte Jahrhundert bestehen. Wie Leo mitteilt, wurde ein Gericht, wobei Arimannen, also freie Nachkommen der Langobarden, als Richter erwähnt werden und Gastalden als Kläger erscheinen, noch im Jahre 1005 in der Nähe von Imola „sub arbore verulubio“ abgehalten. Später wurden dann die bedeckten, nach den Seiten offenen Orte, wo in den Städten Gericht gehalten wurde, laubia oder Lauben genannt.5)

Während das römische Privatrecht sich teilweise erhielt, wurde durch die langobardische Eroberung in den meisten Städten Ober- und auch Mittelitaliens die alte römische Stadtverfassung fast gänzlich vernichtet. Nur wenige Reste blieben übrig. Savigny hat zwar versucht, in seiner „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“ eine Kontinuität der römischen Stadtverfassung nachzuweisen. Aber nach den Untersuchungen von Muratori, Troya, Leo, Hegel, Gaupp ist die mittelalterliche städtische Verfassung ein wesentlich Neues und Anderes, wenn auch einige Namen, wie consules, in einigen Städten an die alte Tradition anknüpfen. Und manche Einrichtungen, die an antike erinnern, sind nur der Ausdruck dafür, daß aus ähnlichen Verhältnissen und Bedürfnissen analoge Formen herauswachsen, ohne daß ein direkter historischer Zusammenhang zu bestehen braucht.

Manchmal wurde das römische Recht nur aushülfsweise in Gebrauch genommen. So heißt es z. B. in den Genuesischen Annalen des Jacobus de Auria (1292), daß der Podesta von Genua volle Gewalt hatte, Recht zu sprechen, und zwar nach den Gesetzen der Stadt, und wo diese keine Auskunft geben, nach römischem Recht; oder nach den Gesetzen der Stadt und nach römischem Recht, wobei jedoch die Befehle der Kapitäne vorbehalten blieben, welche der Podesta in allen Gesetzen und Verordnungen zu beachten hatte. Dieses Zurückgreifen auf römisches Recht ist wohl kaum aus einem kontinuierlich lebendigen Gebrauch zu erklären, sondern vielmehr durch theoretische Studien vermittelt. Für letztere Annahme spricht, daß in jener Zeit die römische Rechtsgelehrsamkeit in großem Flor stand. In Genua selbst werden um diese Zeit Palmerius Mignardus und Percivallus de Baldizone als Rechtsgelehrte genannt, die übrigens beide altdeutsche Namen haben.

Es kann kein Zweifel sein, daß die Verfassung der Städte des italienischen Mittelalters eine politische Leistung der eingewanderten Germanen ist. Neue Menschen mit frischen Kräften und anderen Bedürfnissen schufen diejenigen Formen des städtischen Lebens, die ihren natürlichen Entwicklungstendenzen entsprachen. Dort aber, wo sich alte Formen ganz oder teilweise erhielten, waren die Menschen selbst von anderer Art geworden. So bestand in Rom im elften und zwölften Jahrhundert ein Senat, aber nur dem Namen nach, denn in Wirklichkeit war er eine deutsche Ritterversammlung.

H. Leo, wohl der beste Kenner der Geschichte Mailands im frühen Mittelalter, schrieb als Ergebnis seiner Untersuchungen: „Mailand erscheint, ungeachtet sich noch keine Spur einer Städteverfassung findet, doch unter langobardischer Herrschaft auf alle Weise bedeutend. Schon im Jahre 739 hatte es herrliche Mauern und Türme, enthielt es prachtvolle und zierliche Gebäude. Neun schöne Tore gewährten den friedlich verkehrenden Gästen den Eingang; Befestigungswerke aller Art standen den Feinden entgegen. — Nicht geringe Freude gewährt es, was bei Anfang einer Periode in Asche und Verwüstung lag, am Ende derselben so herrlich erstanden, so neu gekräftigt und erwachsen zu erblicken. Wenn die, unter deren Herrschaft dies vorging, auch von wilden Leidenschaften getrieben und in mannigfacher Roheit zuerst erscheinen, so muß doch eine gründliche Bildungsfähigkeit in ihnen anerkannt werden, und Mailands Schicksal kann als vollgültiger Beweis gelten, daß die Barbaren des deutschen Nordens nichts gemein hatten mit den Wilden der nordamerikanischen Wälder.“

Die Chroniken und Urkunden aus dem Mailand des Mittelalters wimmeln geradezu von germanischen Namen. Statt vieler Zeugnisse führe ich nur ein Beispiel aus jener Zeit an, als in Mailand noch Konsuln gewählt wurden. Unter zwanzig Konsuln werden genannt als Capitanei: Arialdus Vesconte, Arialdus Grasso, Lanfrancus Ferrarius, Lanfrancus de Curte, Arnaldus de Rode, Arialdus de Sexto Azofante, Manifredus de Setera, Albericus de la Turre, Anselmus Avocatus; als Valvassoren: Johannes Mainerii, Ardericus de Palazzo, Guazzo Arestaguido Malastieni, Otto de Fenebiago, Ugo Crivello, Guibertus Cotta; als Cives: Ugo Zavatorius, Alexius Lavezarius, Paganus Ingouart, Azo Martinoni, Pagano Maxsaso.6)

Die berühmtesten Familien Mailands tragen germanische Namen: Bertini, Durini, Isimbardi, Labus, Mainoni, Mandelli, Manzoni, Oldofredi, Trotti, Giulini, Litta, Borromei, Poldi-Pezzoli, Zucchi, Suardi usw.7)

Genua hatte nacheinander unter der Herrschaft der Ostgoten, Langobarden und Franken gestanden und im Wettbewerb mit Pisa einen ausgedehnten Handel entwickelt. Die Jahrbücher von Genua, verfaßt von den Kanzlern Cafarus, Obertus, Ottobonus usw., gewähren einen lehrreichen Einblick in die Zustände Genuas vom elften bis zwölften Jahrhundert. Ungemein zahlreiche germanische Personen- und Familiennamen von Konsuln, Podestà usw. werden aufgeführt, im Jahre 1097 z. B. als edelste Genuesen, die am Kreuzzuge teilnahmen, folgende genannt: Anselmus Racherius, Obertus, Sohn des Lambertus de Marino, Obertus Bassus de Insula, Ingo Flaonus, Dodo de Advocato, Lanfrancus Rozza, Pascalis Noscentius Astor, Wilhelmus de Bono Seniore, Opizzo Mussus und viele andere, so daß sie zwölf Galeeren und ein Lastschiff mit den tapfersten Kriegern bemannen konnten.

In Genua waren, wie in Rom und Florenz, die Paläste der Edeln zugleich Festungen mit hohen Mauern und Türmen. Sie bildeten besondere Quartiere, in denen die Familien und Sippen mit ihren Anhängern saßen.

Für den germanischen Charakter Genuas um diese Zeit läßt sich auch ein direkter anthropologischer Beweis führen. In den Jahrbüchern von Genua findet man einige farbige Gruppenbilder, die Genuesen und Pisaner darstellen. Alle Personen haben blonde oder rötliche Haare und verraten durch ihre ganze Gestalt die nordische Herkunft. Auch findet man in denselben Annalen die ältesten germanischen Porträts des italienischen Mittelalters, den Kanzler Cafarus als hohen stattlichen Greis mit langem weißen Bart und neben ihm seinen blondhaarigen Schreiber Macrobius, dem er sein Werk diktiert. Noch einige Jahrhunderte später zeigten die Patrizier von Genua den gleichen Typus. Im Palazzo del Municipio sieht man mehrere Fresken aus der zerstörten Kirche S. Sebastiano, in denen Szenen aus dem Leben des Dogen Grimaldi dargestellt sind. Fast alle Personen sind hohe Gestalten mit blauen Augen und blonden Haaren. Und wer in den Palästen die Familienbilder durchforscht, wird finden, daß noch im achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Patrizier Genuas einen fast reinen Typus bewahrt hatten. Heute sind die meisten germanischen Familien ausgestorben.

In Pisa waren im dreizehnten Jahrhundert die herrschenden Familien die Gualandi, Sismondi, Lanfranchi, Ubaldini, Upezinghi, — alles germanische Namen. Noch ältere Zeugnisse besitzen wir aus den Konsularlisten des zwölften Jahrhunderts. Im Jahre 1166 waren Konsuln: Sinibaldo Lei, Bandino Barucci, Ildebrando Tignoso, Sinibaldo Buonfigli, Guigliardo Lamberti, Guidone Bella; im folgenden Jahre: Cicco Griffi, Bartolomeo Catanelli, Stefano Masca, Bandino Omici, Pietro Erici, Blandino Familiati, Uguccione Bononi, Ildebrando Ianni, Bidolfo Grugni, Guittone Vesconte, Lamberto Pandolfi.8)

Nichts ist unbegründeter als die Meinung der Florentiner Schriftsteller, daß Florenz die wahre Tochter Roms und die Erbin und Hüterin der antiken Kultur gewesen sei. Die seltsamste Verwirrung des historischen Bewußtseins findet man in der „Chronica de origine civitatis“, wo unbedenklich Caesar und ein — Graf Rinaldus als Zeitgenossen zusammengestellt werden, und dem Catilina ein Sohn namens — Uberto zugeschrieben wird.

In der langobardischen Zeit stand Florenz unter einem Dux, gab es dort einen Königshof, ein Königsfeld und einen Königsmarkt. In der Nähe des Königshofes hatten drei Familien Magiberti, Mauriperti und Floriperti Grundstücke in Besitz, wie aus einer Urkunde von 898 hervorgeht; es sind dies wohl die ältesten germanischen Familien in Florenz, die bekannt sind. Der Name campus regis lebt noch in dem nordwestlich von Florenz liegenden Careggi fort. Das forum regis, der älteste öffentliche Platz der Stadt, ist der heutige Mercato vecchio. Mons regis hieß die Höhe am linken Arnoufer, auf der das Kloster San Miniato erbaut wurde. Im achten Jahrhundert herrschte ein langobardischer Dux Gudibrandus und ein fränkischer Graf Scrot, im neunten Jahrhundert Graf Theudifrasius, im zehnten Graf Rudolph.9)

Von Anfang des neunten Jahrhunderts treffen wir in Florenz germanische Erzbischöfe: Aliprandus (826), Ardinghus (853), Grasulphus (898), Raynbaldus (930), Sichelmus (967), Wido (1002), Ildeprandus (1008), Lambertus (1025), Atho (1036), Gerardus (1046), Raynerius (1071) usw.

Die Taufkirche S. Giovanni, der Mittelpunkt des Florentiner kirchlichen Lebens, ist langobardischen Ursprungs. Auch in Florenz wurde das alte römische Amphitheater „Perlascio“ = Bärengelaß genannt, und noch zur Zeit des Villani hieß die Stelle, wo einst das Wachhaus der langobardischen Besatzung war, „gardingus“ (= Warte). Ihren höchsten Beamten nannten die Florentiner mit einem altdeutschen Namen „Gonfaloniere“, d. h. Fahnenträger, von ahd. gundfano = Kriegsfahne.

Noch heute erinnern Ortsbezeichnungen vor den Toren der Stadt, wie Monte Rinaldi, Monte Ripaldi, Montughi = Monte Hugo, Ponte a Rifredi, Ponte a Jozzoli, Bandino, Borgunto usw. an die dort angesiedelten Germanen.

Hunderte von altdeutschen Familiennamen lassen sich bei denjenigen Geschlechtern nachweisen, die im dreizehnten bis vierzehnten Jahrhundert in Florenz eine Rolle gespielt haben, z. B. Lamberti, Uberti, Conteguidi, Mannelli, Lapi, Beinardi, Maccinghi, Bigazzi, Bardi, Frescobaldi, Rossi, Poppi, Manni, Agli, Adimari, Tinghi, Gaddini, Guicciardini, Strozzi, Alberti, Albizzi, Guadagni, Pitti, Ardinghelli, Lotti, Altoviti, Cambi, Rinuccini, Sassetti, Orlandini, Alamanni, Nardi, Corsi, Gherardi, Gordi, Benci, Ughi, Scarfi, Ridolfi, Zati, Bartoli, Mellini, Lanfredini, Gori, Guasconi, Folchi, Nerli, Sacchetti, Federigi, Aldobrandi usw.10)

Alles dies beweist, wie sehr Florenz eine germanische Stadt geworden war. Im dreizehnten Jahrhundert begann es nach einer Zeit stetiger und ruhiger Entwicklung an die Spitze des italienischen Geisteslebens zu treten, nachdem germanische Rittergeschlechter in die Stadt gezogen waren und sich durch die ländliche Einwanderung ein Bürgerstand des gleichen Stammes gebildet hatte. Denn alles weist darauf hin, daß die Langobarden in der Zeit um das Jahr 1000 eine starke Vermehrung erfahren hatten und daß die um dieselbe Zeit beginnende Blüte der Städte in erster Linie der stärkeren Einwanderung und Ansammlung von germanischen Abkömmlingen in den Städten zu verdanken ist. Es war ein außerordentlich günstiges Schicksal für Italien, daß die Germanen nicht nur die oberen herrschenden Schichten bildeten, sondern von den ersten Ansiedelungen unter Marc Aurel her bis zur Besiegung der Goten ihre Rasse auch die niedere Bauernbevölkerung durchsetzte. So war ein organisches Reservoir vorhanden, ans dem die Talente aufsteigen und die entstehenden Lücken ausfüllen konnten.

Es ist richtig, daß Venedig nie von den Langobarden und Franken erobert wurde, wenn es auch feststeht, diß die Langobarden sich wiederholt in die inneren Verhältnisse der Seestadt einmischten und sich hier und da Güter gewaltsam aneigneten. Der erste Germane, der in Venedig historisch bekannt ist, ist ein Tiepolo, der bei der Wahl des ersten Dogen als Tribun mitwirkte. Er ist vielleicht ein Nachkomme aus gotischem Stamm, da gotische Flüchtlinge sich dorthin gerettet hatten. Im Laufe der Jahrhunderte wurde Venedig durch jene langsame friedliche Einwanderung von Einzelnen und Familien, die, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, in mehreren Generationen den organischen Bestand einer Bevölkerung ändern können, der germanischen Rasse gewonnen. Dafür zeugen die altdeutschen Familiennamen der Nobili, wie Brandolin, Baffo, Dandolo, Barozzi, Emi, Tiepoli, Gritti, Bernardo, Foscolo, Boldu, Gambara, Gonzaga, Bembi, Foscarini, Garzoni, Chigi, Ghisi, Benzon, Memmo, Diedo, Grimanni, Pizzamano, Manin, Girardi, Badoeri, Bragadin, Ruzzini, Gussoni, Albani, Erizzo, Rimondo, Alberti, Landi, Steni usw., und von vielen ist direkt nachweisbar, daß sie langobardischen oder deutschen Ursprungs sind, wie die Candiani, Landi, Pallavicini.

Rom germanisch! Bei diesem Ausspruch denke ich weniger daran, daß das römische Reich germanisiert wurde, wie Gobineau das Wort verstand, sondern daß die ewige Stadt selbst in den Besitz langobardischer, fränkischer und deutscher Ritter und Krieger überging. Denn die antiken Römer hatten, schreibt Jordanes, ihren Namen fast zugleich mit ihrer Tugend zu Grabe getragen. Schon in den Zeiten Procops gab es in Rom arianische Kirchen und nannten die „Römer“ ihre Stadt- und Kriegsfahnen mit einer deutschen Bezeichnung „Bandum“ oder „Bandora“. Zur Zeit Karls des Großen gab es in Rom Scholae Francorum und Saxorum, und man kann annehmen, daß um das Jahr 1000 die ewige Stadt in den oberen Schichten vollständig germanisiert war. Um diese Zeit war Rom ein Komplex von Kastellen und Burgen geworden, deren Besitzer und Anhänger in heftigsten Fehden miteinander lagen. Sehr lehrreich ist eine von Liutprand beschriebene Kirchenversammlung, die 963 in Rom stattfand, wo Patriarchen und Bischöfe von ganz Italien zusammen kamen. Die übergroße Anzahl ihrer Namen ist germanisch, der Rest biblischen Ursprungs. Aus dem „römischen Adel“ waren anwesend: Stephanus des Johannes Sohn, Demetrius des Meliosus Sohn, Crescentius vom marmornen Pferd, Johannes Mizina, Stephan de Imiza, Theodor de Rufina, Johannes de Primicerio, Leo de Cazunuli, Richard, Petrus von Canaparia, Benedict mit seinem Sohn Bulgaminus. — Keine Spur mehr von altrömischen Namen! Auf dieser Versammlung wurden allerhand Beschuldigungen gegen den Papst Johannes vorgebracht, unter anderem, daß „er des Teufels Minne getrunken habe“; und Liutprand, der selbst zugegen war, schreibt, daß es alle, Geistliche wie Laien, mit lautem Zuruf bezeugt hätten, — ein merkwürdiges Zeichen dafür, wie in jener Zeit in Italien und Rom der deutsche Mythus allgemein bekannt war.

Im elften Jahrhundert findet man unter den Adelsfamilien Roms zahlreiche altdeutsche Namen, wie: Normanni, Sassi, Astaldi, Senebaldi, Duranti, Scotti, Berardi, Berizo, Tebaldi, Trauculini, Brazuti. Auch die älteste Senatorenliste, die Gregorovius aus dem Jahre 1144 mitteilt, ist voll von altdeutschen und barbarisch-lateinischen Namen.11)

Wie für Genua, so kann auch für Rom die historisch und philologisch nachgewiesene Germanisierung durch anthropologische Zeugnisse bekräftigt werden. In der kleinen Kirche Sant Urbano bei Rom befinden sich Fresken aus dem elften Jahrhundert, welche die Leidensgeschichte Christi darstellen und in ihren großen Gestalten mit rosig-heller Haut, blonden Haaren und ausdrucksvollen Gesichtern den neuen Stil der Malerei ankündigen. Dieselben germanischen Typen zeigen die Freskenreste aus S. Agnese fuori le mura (zwölftes Jahrhundert) und in besonders interessanter Weise die Wandgemälde in der Unterkirche von San Clemente aus dem elften Jahrhundert, die ein Beno de Rapiza hat anfertigen lassen. Man weiß, daß ein Graf Rapiza (= Rabitz) im elften Jahrhundert in Rom lebte. Auch glaube ich, die ersten Spuren germanischer Gestalten auf den leider sehr zerstörten Fresken in S. Maria antiqua zu erkennen, die nachgewiesenermaßen aus dem achten Jahrhundert stammen.12)

Die Besitzergreifung von Italien und der Stadt Rom durch die Germanen bedeutete auch die Germanisierung der römischen Kirche. Diese Auffassung steht in direktem Gegensatz zu jener Meinung, die neuerdings von H. St. Chamberlain und schon früher von H. Leo vertreten wurde, daß nämlich die römische Kirche eine antigermanische Institution und der Kampf zwischen Kaiser und Papst ein Ausfluß des Gegensatzes zwischen der germanischen und romanischen Rasse sei. „Die Hierarchie“, schreibt Leo, „ist mit der Natur des Romanischen so innig zusammenhängend, daß sie nimmermehr als ein Italien fremdartiges, als ein germanisches Institut betrachtet werden kann.“13)

Das Papsttum ist ursprünglich eine aus römischem Verwaltungstalent und jüdisch-christlichen Ideen hervorgegangene Institution. Seine Erhebung zu einer politischen Weltmacht ist aber ein Werk des germanischen Stammes. Wie das Kaisertum, so ging auch das Papsttum auf die Germanen über. Nichts beweist diese Auffassung schlagender als ein Blick in die Liste der Päpste. Seit dem neunten Jahrhundert, seitdem in Rom Germanen aus allen Stämmen, Langobarden, Franken, Sachsen sich zusammenfanden und in Rom um die Herrschaft kämpften, bemächtigten sie sich auch des päpstlichen Stuhles und machten sie ihn zum Mittelpunkt einer geistlich-politischen Institution.14)

Der erste Papst germanischen Ursprungs ist vielleicht Conon († 687) aus Thrazien, der auch Cuno genannt wird; dann folgen Leo III. († 816) aus Rom, dessen Vater Airulphus oder Azulphus hieß; Eugen III. (824—827) aus Rom, Sohn des Boemund; Johann IX. († 882) aus Rom, Sohn des Gundo; Johann X. († 905) aus Tivoli, Sohn des Rampoldo; Sergius III. († 910) aus Rom, Verwandter des Markgrafen Albertus von Toscana; Lando (913—914), ein Sabiner; Johann XII. war des Papstes Sergius Sohn, den er mit der Marozia gezeugt hatte; Stephan VIII. († 943), ein Deutscher; Johann XIII. († 964), Sohn des Albericus; Bonifacius VII. († 985), mit dein Zunamen Franco oder Franson; Johann XVII. († 996) aus Rom, Sohn des Robertus; Gregorius V. († 998), sonst Bruno genannt, Sohn des Markgrafen Otto von Verona; Sylvester II. († 1003), ein Franzose namens Gilbert; Johann XIX. († 1003), Sico zubenannt; Johann XX., mit dem Beinamen Fasonus oder Fanasus; Benedict XIII., aus dem Geschlecht der Grafen von Tusculum; Johann XXI. († 1033), Sohn des Grafen von Toscanella; Benedict IX. († 1034), Solin des Grafen Albericus von Tusculum; Clemens II. († 1047), ein deutscher Edelmann Suidgerus; Damasius II. († 1048), ein Bayer namens Poppo; Leo IX., Bruno, aus dem gräflichen Hause Dagspurg; Victor II., Gebhard; Stephan IX. († 1058), Friedrich, Sohn des Gazzelone; Benedict X. († 1059), Sohn des Guido Mincii aus dem Geschlecht der Grafen von Tusculum; Nicolaus II. († 1061), ein Burgunder Gerhard; Alexander II. († 1073), Anselmus aus Mailand; Gregor VII., Hildebrand, ein Sohn des Bonizo; Victor III. († 1086), Dauferius, Sohn des Fürsten von Benevent; Urban II., ein Franzose Odon; Paschalis II. († 1118), Rainerius, aus Toscana; Calixtus III., Guido, aus Burgund; Honorius II. († 1130), Lambert, aus Bologna; Coelestinus II., Guido, aus Città Castello; Lucius II., Gerardo; Eugenius III., Peter Bernhard, aus Siena; Anastasius IV., Konrad; Alexander III., Roland, Sohn des Rainucius, aus Siena, usw.

Wie die Papstlisten, so zeigen auch diejenigen der Kardinäle zahlreiche germanische Namen, denn die hervorragendsten Familien Italiens sandten Sprößlinge in die Kardinalskollegien. Noch deutlicher und auffälliger ersehen wir die Germanisierung der Kirche aus den Bischofslisten, besonders in Ober- und Mittelitalien, aber auch in Süditalien. Z. B. werden als Bischöfe von Siena genannt: Dodus (440), Aymus (597), Robertus (612), Peritheus (628), Antifredus (642), Maurus (649), Andreas (658), Gualteranus (670), Gerhard (674), Grossus (731), Jordanus (761), Peredeus (776), Gebhard (795), Peritheus (800), Thomas (830), Gerhard (841), Concius (844), Gerhard (855), Ansifredus (886), Ubertinus (900), Theodoricus (913), Gerhard (937), Hildebrand (987), Giselbert (1013), Leo (1031), Adelbert (1031), Rofredus (1059), Rodulphus (1068), Gvalfredus (1085), Raynerius (1128), Gunteronus (1170) usw.

Eine ähnliche Fülle von germanischen Namen bieten die Bischofslisten von Mailand, Florenz, Arezzo, Urbino, Benevent, Bari, Salerno, Viterbo, Spoleto, Pavia, Cremona, Bologna, Perugia, Verona, Genua und vielen anderen Städten. Die ältesten germanischen Bischöfe in Italien scheinen Albachius in Pavia (354), Auderius von Cremona, Tibaldus von Pavia (405), Dodus von Siena (440), also noch vor den Zeiten der Heruler und Ostgoten, gewesen zu sein. Sie sind wohl aus jenen germanischen Ansiedelungen hervorgegangen, die schon im dritten und vierten Jahrhundert in der Poebene stattgefunden hätten.15)

Aus diesen anthropologischen Wandlungen der Stände, Städte und der Kirche erwuchs im allmählichen Prozeß die neue italienische Nation. Es sind dabei zwei Vorgänge voneinander zu unterscheiden, die Wandlung der anthropologischen Struktur in den herrschenden Schichten durch die germanische Rasse und die Romanisierung der letzteren durch Annahme von römischer Sprache und Sitte. Während der anthropologische Prozeß schon schwer zu verfolgen ist, so ist der psychologische Vorgang in der Wandlung des Abstammungs- und Sprachbewußtseins noch viel schwieriger aufzudecken. Jene seltsame Veränderung in den germanischen Seelen, die von Generation zu Generation ihre Wirkungen summieren mußte, führte aber schließlich dazu, daß die Enkel und Enkelkinder der eingewanderten „Riesen aus dem Norden“ sich für Abkömmlinge der Römer hielten und sogar als verfeinerte Renaissance-Menschen ihre eigenen Ahnen als „fremde Barbaren“ schmähten.

Im zehnten Jahrhundert hatten die Langobarden zum Teil noch ein klares Bewußtsein ihrer germanischen Abstammung. Dies kommt am deutlichsten in Liutprands Bericht über seine Sendung nach Konstantinopel zum Ausdruck. Der Kaiser Nicephoros wirft ihm vor: „Ihr seid gar keine Römer, sondern Langobarden“, worauf Liutprand antwortet: „Wir aber, wir Langobarden, Sachsen, Franken, Lotharingier, Baiern, Schwaben und Burgunden, verachten diese Römer so sehr, daß wir für unsere Feinde, wenn wir recht zornig sind, kein anderes Scheltwort haben als: Römer. Denn mit diesem einzigen Namen, nämlich dem der Römer, bezeichnen wir alles, was es in Niedertracht, Feigheit, Geiz, Lüsternheit, Lügenhaftigkeit, ja an Lastern nur gibt.“ — Liutprand unterscheidet hier deutlich die Langobarden als einen germanischen Stamm unter vielen anderen, während er an einer anderen Stelle Italiener und Langobarden gleich setzt oder Lateiner und Deutsche unterscheidet. Das war im Anfang des zehnten Jahrhunderts, aber noch in den Annalen des Genuesischen Kanzlers Obertus werden den Lombarden die „Römer“ als Feinde des Reichs entgegengestellt.

Indes haben wir gezeigt, daß die Germanen schon seit Procops Zeiten, wenn sie römische Tracht und Sitte angenommen hatten, „Römer“ genannt wurden, und daß die Germanen, die in Rom wohnten, sich schlechthin für „Römer“ hielten. Seit dem zehnten Jahrhundert nahmen immer mehr Langobarden römische Sitte an; der anthropologische Inhalt des Namens „Römer“ änderte sich, und die romanisierten Germanen wurden die Träger der antiken Tradition und der nationalen Eigenart und Selbständigkeit Italiens. Nur so ist der Kampf zwischen Papst und Kaiser, zwischen Guelfen und Ghibellinen zu verstehen. Nicht zwei verschiedene Rassen, sondern romanisierte Germanen und deutsche Germanen rangen um die Vorherrschaft. Wie wenig hier unmittelbare Rassengegensätze wirksam sein können, zeigt sich auch darin, daß zahlreiche Städte und Geschlechter, also dieselben Menschen, bald ghibellinisch und bald guelfisch gesinnt waren. Jene Zeit war eine Epoche des Übergangs, des Schwankens der Gefühle und Bestrebungen, die noch keinen sicheren nationalen Halt gefunden hatten. Dazu bedurfte es einer neuen Tradition, die nur durch eine gemeinsame Kultur und Sprache geschaffen werden konnte.

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1) H. Leo, Über die Verfassung der freien lombardischen Städte im Mittelalter, 1820. Entwicklung der Verfassung der lombardischen Städte, 1824. Geschichte der italienischen Staaten, 1829. — C. Troya, Della condizione dei Romani vinti da Langobardi, 1841. — E. Th. Gaupp, Die germanischen Ansiedelungen und Landteilungen in den Provinzen des römischen Reichs, 1844. — K. Hegel, Geschichte der Städteverfassung in Italien, 1847. — F. Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, 1881.
2) H. Leo, Über die Verfassung der freien lombardischen Städte im Mittelalter. 1820. S. 25 ff.
3) H. Leo, Entwicklung der Verfassung der lombardischen Städte. 1824. S. 32 ff.
4) Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter. 1900. III. Bd., S. 21.
5) H. Leo, Geschichte der italienischen Staaten. 1829. I. Teil, S. 61.
6) Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. III. Bd., S. 117.
7) F. Calvi, Famiglie notabili Milanesi. 1875.
8) Archivio storico italiano. VI. Bd., S. 334 u. 344.
9) O. Hartwig, Quellen und Forschungen zur ältesten Geschichte von Florenz. 1875. S. 82.
10) Jacopo Pitti, Dell’ Istoria Fiorentina. Archivio storico italiano, I. Bd., S. 2. — Noch gegenwärtig ist eine auffallend große Zahl von Familiennamen in Florenz germanischen Ursprungs. Aber mit den Namen hat sich keineswegs die Rasse vererbt, und die meisten unter diesen Familien sind die Abkömmlinge unterwerfener Italiker, die von ihren Herren neue Namen empfangen hatten.
11) F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. IV, S. 433 u. 468.
12) G. Mc. N. Rushforth, S. Maria antiqua in Papers of the British school at Rome. 1902. vol. I, S. 65.
13) H. Leo, Geschichte der italienischen Staaten. 1829. I, S. 43.
14) Diese Auffassung habe ich bisher nur bei einem einzigen Schriftsteller als eine gelegentliche Bemerkung gefunden. A. Schönbeck schreibt in seiner Biographie Walthers von der Vogelweide (1895, S. 11): „Das Papsttum als eine Spitze des Ganzen, der Vertreter des Himmelsherrn als das persönliche Oberhaupt der Erde, ist eine germanische Schöpfung, durch welche eine notwendige Einrichtung der kirchlichen Administration zu einer weltgeschichtlichen Höhe emporgehoben wurde.“
15) Wer sich für diese Dinge interessiert und weiter forschen will, findet das einschlägige Material in dem mehrbändigen Werk von F. Ughelli, Italia sacra (1717) übersichtlich zusammengestellt.

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