Elftes Kapitel

Die Dichter

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ie die bildende Kunst Italiens durch die voraneilende Entwicklung der nordischen Völker mancherlei Anregungen erfuhr, so ist dies bei den Anfängen der italienischen Poesie noch deutlicher und in viel größerem Maße festzustellen. In den frühesten Zeiten des Mittelalters werden der Gote Helpidius und der Langobarde Paul Warnefrit als Dichter genannt; ferner gibt es ein Lobgedicht auf den Kaiser Berengar von einem Lombarden; indes ist dies alles, was vor dem Jahre 1000 nachgewiesen werden kann. Erst mit dem Aufschwung des geistigen Lebens, der im elften Jahrhundert sich allgemein bemerkbar macht, traten zahlreichere Dichter auf, so im elften Jahrhundert Alphanus (ahd. = Alfan) und Gaiferius (ahd. Waifarius, Weifheri), Mönche aus Monte Cassino, die Gedichte in lateinischer Sprache verfaßten.

Als gegen Ende des zwölften Jahrhunderts die Troubadours aus Frankreich nach Norditalien kamen, erwachte der poetische Sinn zu kräftigerem Leben. Es bedarf kaum eines Hinweises, daß die französischen Troubadours germanischer Abstammung gewesen sind, wie Pier Vidal, Raimbaut, Aimeric de Pegulham, Gaucelm Faidit, Uc de Cire (= Hugo), Guillem de la Tor. In Norditalien ahmte der langobardische Adel die Troubadours nach; besonders sind zu nennen Manfred II., Lancia (= Lanza), Alberto Malaspina, Rambertino Buvaletto, Lanfranco Cigala, Jocopo Grillo. Der berühmteste unter ihnen ist Sordello von Mantua (ahd. Sordo, Sordilo, nhd. Sordel). Einen mehr selbständigen Charakter haben die Lieder der sicilianischen Trovatori, die meist schwäbischen oder normännischen Ursprungs sind, z. B. Kaiser Friedrich II., sein Sohn Enzio, Mazzeo Ricco, Rinaldo d’Aquino, Rugieri Apugliese, Ranieri aus Palermo, Guido delle Colonne. Dem Ciullo d’Alcamo gehört ein viel gerühmtes Liebeslied aus der Zeit Kaiser Friedrichs an. Ciullo oder Cielo ist (nach Förstemann) ahd. Kielo, Chiello, ags. Ceol, Ceola.

Es folgten Guittone von Arezzo, Folchachiero de Folchachieri aus Siena (ahd. Folco) und Dante da Majano. Dante ist ein germanischer Name, entweder ein selbständiges Danto, Dando (davon Dandolo, Tandulf) oder eine Abkürzung von Durand, Durante.

Der erste, der sich vom provençalischen Einfluß frei machte, war Guido Guinicelli von Bologna. Guinicelli leitet sich von Wino, Guino, Winico (nhd. Wienecke). Aus Bologna war auch Guido Ghisleri (= Geißler) und Spero Sperone (= Spier).

Den Höhepunkt der italienischen Dichtung bildet Dante Alighieri (1265—1321). Der Stammvater seiner Familie war ein Cacciaguida, ein tapferer Ritter des elften Jahrhunderts, der Conrad III. auf seinem Kreuzzug begleitete. Der Name Cacciaguida ist aus Cazzo, Gazzo (= Katz) und Wida oder Guida zusammengesetzt. Man könnte ihn mit Kaatzwitt wiedergeben. Ob dieser Name im Neuhochdeutschen noch vorkommt, ist mir nicht bekannt; er ist einerseits in Analogie mit Cacilo, Caciprand, andererseits mit Altwid, Roswitt, Liuzwid, Castwid, Asquid und dergleichen aufzufassen. Aldighieri ist ein Name von unverkennbar germanischem Ursprung. Dantes Familie erhielt ihn von einer Aldighiera degli Aldighieri aus einem vornehmen, vielleicht gotischen Geschlecht in Ferrara, mit der Cacciaguida verheiratet war.

Was das körperliche Aussehen Dantes betrifft, so ist es eine traditionelle Meinung, daß Dante brünett gewesen sei. Sie geht bis auf Bocaccio zurück, den ersten und ältesten Biographen des Dichters. Was Filippo Villani in seinen Lebensbeschreibungen berühmter Italiener mitteilt, ist nur eine Wiederholung der Nachrichten des Bocaccio. In seiner „Vita di Dante Alighieri“ beschreibt er sein Äußeres in folgender Weise: „Unser Dichter war von mittlerer Statur, und als er zu reiferem Alter gekommen war, ging er ein wenig gebückt. Sein Gang war ernst und gemessen, sein Gesicht lang und die Nase adlerförmig gebogen, die Augen eher groß als klein, die Kinnladen groß, und die Oberlippe wurde von der unteren überragt. Seine Hautfarbe war braun, Haar und Bart dicht, schwarz und kraus, sein Gesichtsausdruck immer melancholisch und nachdenklich.“ Daran schließt er die bekannte Anekdote von dem Gespräch einiger Weiber in Verona: „Daher geschah es, wie er eines Tages nach Verona kam, als der Ruhm seiner Werke, namentlich seiner „Hölle“, weit verbreitet und vielen Männern und Frauen bekannt war, und als er an einem Stadttor vorüberging, wo mehrere Frauen saßen, daß eine von ihnen leise, aber doch so, daß er und die anderen Frauen es hören konnten, sagte: »Seht ihr jenen dort, der in die Hölle steigt und wiederkommt, wenn es ihm beliebt und uns Nachrichten von denen in der Hölle bringt?« — Und eine von den Frauen antwortete: »Fürwahr, du mußt recht haben. Siehst du nicht, wie sein Bart so kraus und seine Haut so braun ist, wegen der Hitze und des Rauches da unten?« — Als jener die Worte hinter sich sprechen hörte, lächelte er ein wenig und ging weiter.“

Diesem von Bocaccio entworfenen Bilde stehen die eigenen Mitteilungen des Dichters gegenüber, die nicht mit ihm in Übereinstimmung gebracht werden können. Was seine Hautfarbe anbetrifft, so kommen in den Canzonen der „Vita nuova“ mehrere Stellen vor, wo es heißt, daß sein Antlitz infolge von Kummer blaß und bleich geworden sei. Nun können ja auch Menschen mit brauner Haut blaß und bleich werden, wenn auch nicht in dem auffallenden Maße, wie es hier geschildert wird. Unwahrscheinlich ist aber, daß ein Mensch mit braunem Teint sagen würde: „Mir war der Wange Farbe so erblichen“, es sei denn, daß die Haut durch Mischung stark aufgehellt ist. Der „Wange Farbe“ bedeutet meist jenes rosige Rot, jenes Inkarnat, wie es die nordische Rasse besitzt, bei der das Blut durch die helle Haut durchscheint.

Sein Haar soll nach Bocaccio schwarz gewesen sein. Auch dieses stimmt nicht mit den eigenen Angaben des Dichters überein, der ausdrücklich berichtet, daß sein Haar blond gewesen sei. In der zweiten Ekloge schreibt Dante an Giovanni di Virgilio:

„Nonne triumphales melius pexare capillos
Et patrio redeam si quando, abscondere canos
Fronde sub inserta solitum flavescere Sarno?“

„Wärs nicht besser, ich richtete mir das Haar zum Triumph zu,
Und ich, kehrt ich dereinst in die Heimat, bärge
Das graue Haupthaar unter dem Kranz, das einst blond war am Arno?“

Und der Freund erwidert ihm:

„O si quando sacros iterum flavescere canos
Fonte tua videas  —  —  —.“

„O wenn du wieder dereinst blond werden die heiligen Haare
Sähest in deinem Quell  —  —  —.“

G. Albini hat in seinem Kommentar zu Dantes Eklogen die Meinung geäußert, daß „flavescere“ nicht „blond“, sondern „blühend“ und die jugendliche Farbe und Kraft bedeute. Er schließt dies aus dem „iterum flavescere“ in der Antwort des Giovanni, das unmöglich bedeuten könne, daß das Haar des Dichters wieder blond werden solle, sondern das nur den Wunsch ausdrücke, daß das müde und ergraute Haupt des Dichters wieder aufblühen möge.1)

Ich kann mich dieser Hypothese durchaus nicht anschließen, da nicht der geringste Zweifel bestehen kann, daß Dante selbst in tatsächlichem Sinne von „canos solitum flavescere“ spricht, von grauen Haaren, die einst blond waren, als er noch am Arno weilte. Auch ist es durchaus nicht nötig, das „iterum flavescere“ des Giovanni im bildlichen Sinne aufzufassen. Wieder jung zu werden, ist ein Wunsch, der in eines jeden Menschen Brust zuweilen erwacht, und in seiner lebhaften Anschauungskraft denkt der Dichter dabei unwillkürlich an die natürliche physische Jugend, obgleich die Verwirklichung dieses Wunsches absolut ausgeschlossen ist. Daß Giovanni an die wirkliche Jugend gedacht hat, beweist auch der Zusatz „fonte tua“, d. h. am „Borne deiner Taufe“.

Wie wenig zuverlässig die Mitteilungen des Bocaccio sind, beweist auch seine Bemerkung über einen angeblichen Bart des Dichters, den er als dicht, schwarz und kraus beschreibt. An einer anderen Stelle bemerkt er aber, daß der Kummer um die tote Beatrice den Dichter abgemagert und ihn dazu gebracht habe, sich einen Bart wachsen zu lassen und sich ganz zu vernachlässigen. Danach muß er den Bart nur zeitweise getragen haben. Daß Dante sonst bartlos gewesen, geht auch daraus hervor, daß ihm große und, wie Villani sagt, etwas herabhängende Unterkiefer als besonderes Kennzeichen zugeschrieben werden. Diese würden aber schwerlich zu erkennen gewesen oder überhaupt aufgefallen sein, wenn Dante einen „dichten, krausen und schwarzen Bart“ gehabt hätte. Dazu kommt, daß alle Bildnisse Dantes, auch die ältesten, ihn ohne Bart darstellen. Ob diese nun authentisch oder nach Originalen angefertigte Kopien sind, will ich hier nicht untersuchen. Aber sie stellen ihn alle mit langem Gesicht, gebogener Nase, großem Unterkiefer und vorspringender Unterlippe dar. Hier muß entweder ein Originalbild oder eine von dem Bericht des Bocaccio abweichende mündliche Tradition fortwirken.2) Damit entsteht die Frage, welche Quellen Bocaccio für seinen Bericht gehabt hat. Er hat Dante selbst nie gesehen. Bei dessen Tode war er acht Jahre alt, und Dante starb in der Verbannung. Als Bocaccio seine „Vita di Dante“ schrieb, werden schwerlich noch Leute in Florenz gewesen sein, die den Dichter persönlich gekannt hatten, doch berichtet er von einem Enkel des Dichters, Andrea di Leone Poggi, der in Florenz lebte, und der in auffallender Weise in den Linien des Gesichtes und in der Statur dem Dichter glich. Möglicherweise hat er ihm den Bart und das schwarze Haar entlehnt und dem Dichter zugeschrieben; oder es kann auch sein, daß er die braune Haut und den schwarzen Bart jener Anekdote höchst zweifelhaften Ursprungs entnommen hat, die von dem Gespräch der Frauen in Verona handelt. Anders können die Widersprüche zwischen der unzweifelbaren Selbstbeschreibung des Dichters, seinen Bildnissen und dem Berichte des Bocaccio, sowie die Widersprüche in dem letzteren selbst nicht gelöst werden.

Über die Augenfarbe wird nichts berichtet. Nach den Regeln der Wechselbeziehung anthropologischer Merkmale liegt die Annahme sehr nahe, daß sie auch hell gewesen sind, wie Haare und Gesichtsfarbe. Eine Rechtfertigung erhält diese Annahme durch das Dante-Bildnis, das Orcagna in der Cappella Strozzi von S. M. Novella gemalt hat. Nach der Photographie zu urteilen, hat die Iris eine auffallend helle Farbe, wie sie nur blaue Augen hervorzurufen pflegen. Leider habe ich das Bild nicht aus unmittelbarer Nähe studieren können.

Im Jahre 1865 wurden die Gebeine Dantes in Ravenna gefunden. Der Schädel war nach den Untersuchungen von Gaddi dolichocephal.3)

Mittlere Gestalt, schmaler Schadel, langes, schmales Gesicht mit großer, gebogener Nase, vorspringendes Kinn, blonde Haare, helle Haut und helle, wahrscheinlich blaue Augen, müssen danach als anthropologische Merkmale Dantes angesehen werden.

Francesco Petrarca (1304—1374) steht neben Dante als der größte Lyriker Italiens. Petrarca ist eine Abänderung von Petracco, dem Namen seines Vaters, der soviel wie „Peterchen“ bedeutet. Der älteste bekannte Vorfahr ist sein Urgroßvater Garzo (ahd. Garo, Garizo, nhd. Gartze), der in Incisa lebte und 104 Jahre alt wurde. Passerini nennt ihn Ser Garzo, was auf den Beruf eines Notars hinweist.4) Die Mutter Petrarcas ist wahrscheinlich Nicolosa, die Tochter von Vannis Cini Sigoli. Sigoli leitet sich ab von ahd. Sigo, Sigilo, nhd. Siegel.

G. Koerting beschreibt auf Grund der Nachrichten, die von Bocaccio, Villani, Sicco und anderen überliefert sind, den physischen Typus des Dichters in folgender Weise: „Petrarca durfte Anspruch darauf erheben, für einen schönen Mann zu gelten, und war sich in seiner Jugend dessen auch bewußt. Er war hoch gewachsen, und in der Jugend war seine Gestalt schlank, während sie im Alter freilich einer zu großen Leibesstärke zuneigte. Der Ausdruck seines Gesichtes war heiter, ohne doch der Würde zu entbehren, sein Blick lebhaft, durchdringend und doch mild, seine Stimme aber so klangvoll und bezaubernd, daß, wer nur einmal ein Gespräch mit ihm begonnen hatte, es gern weiter spann, nur um ihn reden zu hören. Die Farbe seiner Haut war hell und zart, ohne doch eines dem Manne wohl anstehenden Anflugs von Bräune zu ermangeln. Nur das Haar kontrastierte mit der stattlichen und frischen Erscheinung, es war in früher Jugend, fast zur selben Zeit, als der Bart zu sprossen begann, bereits ergraut.“5)

Unzweifelhaft beglaubigte Bildnisse des Dichters sind nicht mehr vorhanden, wenn auch zahlreiche als solche angegeben werden. Bei der großen Unsicherheit der Tradition kommen für unsere Zwecke nur drei Darstellungen in Betracht. Am meisten ist das Bild beglaubigt, das im Palazzo vescovado in Padua von Guariento gemalt wurde. Hier hat der Dichter eine gerade Nase, im Gegensatz zu jenen zweifelhaften Porträts, die ihm eine gebogene zuerteilen. Ist dieses Bildnis echt, so erhält auch das berühmte Porträt in der Biblioteca Laurentiana einen großen ikonographischen Wert, sowie ein anderes aus der Schule Giovanni Bellinis, das in der Galleria Capitolina in Rom sich befindet. Das letztere weist durch seine altertümliche Art der Auffassung darauf hin, daß es die Kopie eines verloren gegangenen, alten Originals ist. Beide Bildnisse geben dem Dichter ebenfalls eine gerade Nase und gleichen auch sonst demjenigen in Padua, so daß wir mit großer Gewißheit annehmen können, daß sie uns die wahren Gesichtszüge Petrarcas überliefert haben. Was die Farbe der Augen anbetrifft, so ist darüber keine biographische Nachricht vorhanden. Auf den genannten Bildnissen sind die Augen in jenem hellen, graugelben Ton gemalt, der in der älteren Zeit (bis auf Fra Angelico) immer eine blaue Farbe angeben soll. Die Darstellung echter blaufarbener Augen tritt erst relativ spät in der italienischen Malerei auf.

Giovanni Bocaccio (1313—1375) wurde zu Certaldo im Tal der Elsa geboren. Certaldo war ursprünglich ein germanisches Kastell, wie der Name schon verrät; er ist gleich Certowaldo, nhd. etwa Gertwald. An das Kastell schloß sich eine germanische Niederlassung, was sich aus den auffallend zahlreichen germanischen Familiennamen ergibt, die ich dort gefunden habe, wie Daddi, Zinkoni, Piccardi, Maccianti, Tani, Bernini, Brizzi, Mori. Bocaccios Stammbaum kann bis auf seinen Urgroßvater Bonajuto, der Grundbesitz bei Certaldo besaß, verfolgt werden. Die Familie, deren Haus heute noch zu sehen ist, zog später nach Florenz, ohne den Besitz in Certaldo aufzugeben. Der Name Boccaccio ist germanischer Herkunft, und von Bocco (= Bock, Bueck), Boccazzo abzuleiten, das heute noch in der Form von Buchatz vorkommt. Über seine Mutter ist nichts bekannt. Er war augenscheinlich ein außereheliches Kind, was vielen Literatur-Historikern ein Greuel zu sein scheint, da sie sich große aber vergebliche Mühe geben, eine eheliche Mutter zu erfinden. Ph. Villani berichtet, das Bocaccios Gestalt ein wenig beleibt, aber hochgewachsen gewesen sei; sein Gesicht war rund (offenbar fettwangig), seine Nase über den Nasenflügeln ein wenig eingedrückt, die Lippen etwas voll, sein Anblick heiter und freundlich. Authentische Bildnisse sind nicht mehr vorhanden. Aber es ist bezeichnend, daß alle Bildnisse aus späterer Zeit dem Dichter blaue Augen zuerteilen, worin eine Tradition nach älteren Vorbildern nachwirken mag.6)

Luigi Pulci (1431—1487) entstammte einer der edelsten Familien von Florenz, deren Namen wohl von ahd. Bulo, Pulo, Pulico abzuleiten ist, wofür auch die in Italien sonst vorkommende Form Buligo (nhd. Pullig) spricht. Seine Mutter war Brigida aus der Familie der Bardi (= Brigitte Barth). Sein Porträt hat Filippino Lippi in der Brancacci-Kapelle angebracht, aber wie A. Warburg meint, ist dieses Bildnis wahrscheinlich erst nach seinem Tode und nach einer Totenmaske angefertigt. Er hält ein anderes für das Porträt Pulcis, das sich auf den Fresken Ghirlandajos in S. Trinità befinden soll.7) Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden Bildern ist zweifellos vorhanden; es zeigt eine vorspringende Nase, braunes Haar und hell-rosigen Teint; die Augenfarbe ist nicht zu erkennen. Aber bei der Unsicherheit der Diagnose möchte ich keine anthropologischen Schlüsse daraus ziehen.

Matteo Bojardo (1434—1494). — Die Bojardi (ahd. = Bajohardi) entstammten wahrscheinlich den Bianchi di Lunigiana (= Blank), die im zwölften Jahrhundert das Kastell von Panzano bei Carpi als Feudalbesitz inne hatten; die Mutter des Dichters war eine Lucia Strozzi (= Strotz).8) Wie Name, Feudalität und die in den älteren Generationen zahlreich vorkommenden Vornamen (Ruggero, Guido, Uguccione usw.) erweisen, war die Familie germanischen Ursprungs. Ein Porträt des Dichters befindet sich in der Gallerie zu Modena, wo er braune Haare, blaue Augen, rosigen Teint und blonden Bart zeigt.

Giacomo Sannazaro (1458—1530). — Die Sannazaro sollen vom spanischen Adel ihren Ursprung genommen haben. Ein Zweig der Familie ließ sich in Oberitalien bei Lomellina nieder und bewohnte das Castello di San Nazzaro, woher sie ihren Namen führen. Später zogen sie nach Neapel, wo sie unter den Adel aufgenommen wurden. Die spanische Herkunft der Familie ist indes sehr zweifelhaft; der Dichter selbst war der Meinung, daß sie vielmehr in Oberitalien ihren Ursprung hatte. Sannazaro war von über mittelgroßer Gestalt und starkem Gliederbau.9) Raffael brachte sein Bildnis in ganzer Figur im „Parnaß“ in den Stanzen des Vatikan an. Danach wir er von hoher Statur, sein Gesicht schmal, die Nase lang und leicht gebogen, die Augen hellblau. Die Haare sind ergraut, wie auf dem Bilde im Passaggio der Uffizien, das offenbar eine Kopie des ersteren ist. Das Bildnis, das Vasari im „Einzug in Florenz“ (Palazzo vecchio) anbrachte, läßt dagegen blonde Haare erkennen.

Bernardo Dovizi (1470—1520), wurde nach seinem Geburtsorte auch Bibbiena genannt. Dovizi ist von ahd. Davo, Dauvo (nhd. = Dowe) abzuleiten. Es gibt mehrere Bildnisse von ihm, von denen das berühmteste von der Hand Raffaels ist. Eine gute Kopie sieht man in der Gallerie Pitti, wo er germanische Gesichtszüge, blond-rötliche Haare und blaue Augen zeigt. Auch in dem Bildnis des Vasari im Palazzo vecchio im Konsistorium, das Leo X. anbrachte, hat er deutlich blonde Haare.

Lodovico Ariosto (1474—1533) entsprang einer Familie, deren Name nach einem Landstrich bei Bologna „Da Riosto“ lautete, der später in Ariosto umgewandelt wurde. Als Stammvater gilt ein Alberto, dessen Söhne Gherardo und Ugo (= Hugo) hießen, von denen der letztere im Jahre 1156 in Bologna Konsul war. Die Kinder des Ugo hießen Alberghetto, Adelasia, Lodovico, Aldrovandino, Obizzo und Niccolò. Diese in den älteren Generationen vorkommenden Namen weisen auf einen germanischen Ursprung der Familie hin.10) Ariosto hatte eine hohe Körpergestalt, schwarzes, lockiges Haar, lebhafte, aber angenehme schwarze Augen. Die Nase war groß und adlerförmig gebogen, die Wangen waren mager und gebräunt, aber am übrigen Körper war die Haut äußerst weiß.11) Wir haben in Ariosto einen Mischling zu sehen, dessen Skelett, Kopf- und Gesichtsform, sowie helle Haut der nordischen Rasse angehört, während Haare und Augen das dunkle Pigment der brünetten Rasse aufweisen.

Baldassare Castiglione (1478—1529). — Sein Vater war der berühmte Condottiere Cristoforo Castiglioni, seine Mutter Luigi di Antonio Gonzaga (ahd. Gonzaeg). Die Castiglioni stammten von einem Corrado (= Konrad), einem Sohn des Grafen Berengar, der den Namen Castiglione nach einem Kastell bei Seprio führte. Nach seinem Bildnis im Palazzo Corsini in Rom zu urteilen, hatte er dunkelblond-rötliches Haar und blaue Augen.

Giangiorgio Trissino (1478—1550) gehörte zu einer Familie, die von alters her wegen ihres Adels, ihres Reichtums und ihrer Tapferkeit berühmt war und von Miglioranza, einem tapferen Kriegsmann zu den Zeiten des Ezzelino da Romano, abstammte. Die Trissini besaßen in Vincenza große Paläste mit Bollwerken und Türmen, — eine germanische Feudalfamilie mit kaiserlicher Investitur. Trissino hatte eine aufgerichtete Statur und war von sehr schöner Gestalt, wie die Zeitgenossen berichten. Das lange lockige Haar war blond, der Bart goldfarben und die Augen blau und leuchtend.12) In der Universitäts-Bibliothek zu Bologna befindet sich ein schönes, wenig bekanntes Bildnis des Dichters.

Matteo Bandello (1480—1561) ist der einzige unter den Italienern, der sich einer gotischen Abstammung rühmt. Er leitet den Ursprung seiner Familie von einem Goten Velamir ab, von dessen Sohn Bandelchil die Bandelli ihren Ursprung genommen haben sollen. Bandello = ahd. Bando, Bandilo, nhd. Bandel, Bandell.13) Über seinen physischen Typus habe ich nichts feststellen können.

Francesco Berni (1490—1536) wurde geboren zu Lamporecchio (= Lamprecht) in Toscana und entstammte einer verarmten Adelsfamilie, die sich ursprünglich dei Pucci (= Butz, Pütz) nannte und deren Stammvater ein Guido di Puccio war. Von ihm stammte ein Bernarba ab, dessen Name in Berna verkürzt wurde, das schließlich in den Familiennamen Berni überging. Seine Mutter war eine Isabella Baldi (= Balde). Er hatte eine hohe Gestalt, eine große Nase und blaue Augen, wie aus einer eigenen Beschreibung seines körperlichen Aussehens hervorgeht.

Di persona era grande, magro e schietto,
Lunghe e sottil le gambe forte aveva.
E’l naso grande, e ’l viso largo, e stretto
Lo spazio che le ciglia divideva.
Concavo l’occhio aveva, azzurro e netto,
La barba folta quasi il nascondera,
Se l’avesse portata; ma il padrone
Aveva con la barba aspra questione.14)

Pietro Aretino (1492—1556) gehörte (nach L. Passerini) der Familie Bacci (= Bazzi, Batz) in Arezzo an, die von den Langobarden in Sassello abstammten, einem kleinen Kastell bei Capolone. Wie seine Bildnisse zeigen (in den Uffizien, im Museum zu Arezzo), hatte er blaue Augen, eine lange Nase, aber dunkle Haare und dunklen Bart.

Luigi Alamanni (1495—1556). — Der Name Alaman, nhd. Ahlemann oder Ahlmann, ist besonders bei den Langobarden gebräuchlich gewesen. Die Familie stammt wahrscheinlich von einem Rainerio (= Rainer), der um das Jahr 1000 lebte.15) Auf einem Bildnis im Passaggio der Uffizien hat er blaue Augen, schmale Adlernase, ein Gesicht, demjenigen Leonardos nicht unähnlich. Die Haare sind ergraut und lassen die ursprüngliche Farbe nicht mehr erkennen, aber der Bart ist ursprünglich blond-rötlich gewesen.

Giovanni Battista Guarino (1537—1612) war ein Enkel des berühmten Humanisten Guarino. Ein Bildnis in Kupferstich läßt die Gesichtszüge der nordischen Rasse erkennen. Biographische Nachrichten über sein Äußeres fehlen.

Torquato Tasso (1544—1595). — Die Tassi waren eine hochangesehene Familie in Bergamo und stammten aus dem edlen Geschlecht der Torreggiani, die hohen burgundischen Ursprungs waren und die Herrschaft von Valsassina besaßen. Sein Vater trat in die Dienste des Fürsten von Salerno, wo Torquato geboren wurde. Tasso ist ein altdeutscher Name, der im nhd. Tasso oder Dasse lautet und von dem das bekannte Tassilo nhd. Dassel sich ableitet. Seine Mutter Porzia de’ Rossi (ahd. Hruozzo) stammte ebenfalls aus einer edlen Familie, die ehemals in Pistoja ihren Sitz hatte.

Über die äußere Gestalt Tassos sind wir durch zeitgenössische Schriftsteller genau unterrichtet. Er hatte eine hohe Statur, so daß man ihn, wie Manso berichtet, zu den größten und bestproportionierten Menschen rechnen konnte. Die Gesichtsfarbe war weiß, später infolge von Krankheit und Überarbeit bleich. Die Farbe der Haare und des Bartes war „mitten zwischen braun und blond“, so daß wir ein mittleres Blond annehmen können; die Stirn hoch und breit, die Nase groß, die Augen himmelblau und glänzend.16)

Von den Porträts, die auf uns gekommen sind, ist wohl das ähnlichste dasjenige in den Uffizien, das dem Alessandro Allori zugeschrieben wird und das ihn in einem abgemagerten und leidenden Zustande darstellt. Auf diesem Bilde hat der Bart eine hellere Farbe als das Haupthaar.17)

Alessandro Tassoni (1565—1635), geboren in Modena aus der altadeligen Familie der Tassoni (Tasso = Tasse), die lange Jahrhunderte in Modena gewohnt hatte und deren ältester bekannter Vorfahr Bonavere de’ Tassoni 1306 in den Bürgerlisten der Stadt erwähnt wird. Nach Muratori war er blondhaarig, der Teint weiß, die Augen lebhaft, und zwar nach einem in der Gallerie zu Cesena befindlichen Porträt zu urteilen, von blauer Farbe.18)

A. Fr. Grazzini (1503—1584). — Die Familie Grazzini nannte sich auch da Steggia, nach einem Kastell in Valdelsa, das sie nebst großen Landgütern besaß. Sie wird nach G. Villani schon im Jahre 1170 erwähnt, und nahm ihren Namen nach einem Grazzino an, der in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts lebte.19) Ein Bildnis des Grazzini befindet sich im Wappensaal der Academia della Crusca. Er hatte eine helle Haut, schmale gerade Nase, braune Haare, hellen Bart und hellgraue Augen, die wohl ursprünglich blau gewesen sind, da das ganze Bild in matten, fast verloschenen Farben gehalten ist. Grazzini von ahd. Grazzo, Grazzolus.

Fulvio Testi (1593—1646) hatte nach seinem Bildnis in der Pinakothek zu Modena braune Haare, blonden Bart, blaue Augen, rosigen Teint.

Vincenzo da Filicaja (1642—1707) stammte aus einer alten, vornehmen Familie in Florenz.20) Nach seinem Porträt in der Academia della Crusca zu urteilen, hatte er blaue Augen, weißen, rosigen Teint, lange Nase, blonde Haare, rötliche Augenbrauen.

Pietro Trapassi (1698—1782), meist unter dem Namen Metastasio bekannt, wurde in Rom geboren, aber sein Vater stammte aus Assisi und seine Mutter Francesca Galasti aus Bologna. Er hatte mittlere Körpergröße, rosigen Teint, namentlich rühmt der Biograph die rote blühende Farbe der Wangen21), und wenn ich nach einer Glas-Miniatur im Museo in Pavia urteilen darf, waren seine Augen blau.

Carlo Goldoni (1707—1793) wurde in Venedig geboren, doch stammten seine Vorfahren aus Modena. Nach seinem Porträt im Museo civico zu Venedig zu urteilen, hatte er die Gesichtsbildung der germanischen Rasse, helle, rosige Haut, aber braune Augen, die er von seiner Mutter, einer anmutigen und brünetten Person, geerbt zu haben scheint. — Goldoni ist ein bekannter altdeutscher Name.

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1) Dantes Eclogae, a cura di G. Albini. 1903. S. 37.
2) Ich will hier auf die widerspruchsvollen Ansichten über die Bildnisse von Dante nicht eingehen, da für anthropologische Zwecke nichts Besonderes dabei herauskommt. Ich verweise auf F. X. Kraus, Dante Alighieri, Sein Leben und sein Werk (1897). — Pasquale Papa, I ritratti di Dante in S. Maria Novella. Estratto di Giornale dantesca, XI, i. — Michele Scherillo e Pasquale Papa, Questioni di iconografia dantesca, Giornale dantesca, XII, 3—4.
3) P. Gaddi, Mem. dell’ Accademia di Modena. 1866. VII, 29—46.
4) Passerini e Giulini, Sommario delle 125 famiglie celebri Toscane. 1862.
5) G. Koerting, Petrarcas Leben und Werke. 1878. S. 454. — Man vergleiche darüber bei A. Solerti, Le vite di Dante, Petrarca e Bocaccio, Die Lebensbeschreibungen des Dichters von Bocaccio, S. 239, von Pietro da Castelletto, S. 265, von Filippo Villani, S. 275, Giannozzo Manetti, S. 303.
6) E. Schaeffer, (Das Florentiner Bildnis. 1904. S. 204) hält zwei Figuren auf den Fresken des Orcagna in S. M. Novella für Petrarca und Bocaccio. In der Tat kann die letztere Figur mit der Beschreibung des Villani in Übereinstimmung gebracht werden. Aber die andere Figur mit dem fast pathologisch zurückstehenden Kinn, der gerade aufstrebenden Stirn, der vorgebauten Habichtsnase kann unmöglich Petrarca sein, da sie den am besten beglaubigten Bildern und auch der Nachricht widerspricht, daß Petrarca ein schöner Mann gewesen sei. Ist diese Figur aber nicht Petrarca, dann kann die andere auch nicht Bocaccio darstellen.
7) A. Warburg, Bildniskunst und Florentiner Bürgertum. 1901. S. 16.
8) N. Campanini, Studi su M. M. Bojardo. 1894. S. 4.
9) Fr. Colangelo, Vita di Giacomo Sannazaro. 1819. S. 94.
10) Pompeo Litta, Famiglie celebri Italiane, Bd. VII.
11) G. Baruffaldi, La vita di Lodovico Ariosto. 1807. S. 250.
12) B. Morsolini, Giangiorgio Trissini. 1878. S. 2.
13) La prima parte delle novelle del Bandello. 1791. II, S. 159.
14) A. Virgili, Francesco Berni. Con documenti. 1885. S. 23.
15) Passerini e Giulini, Sommario delle 125 famiglie Toscane. 1862.
16) G. B. Manso, Vita die Torquato Tasso. 1621. S. 136. — Ferner Guido Casonis Lebensbeschreibung in Gerusalemme liberata, Venezia. 1625.
17) Über die Porträts Tassos vergleiche man A. Solerti, Vita di Torquato Tasso. Vol. III.
18) L. A. Muratori, Vita di A. Tassoni. S. 76.
19) Pietro Fanfani, Vita del Lasca in Le Cene ed altre Prose di A. Grazzini. 1857. S. 7.
20) G. Caponi, Vincenzo da Filicaja. 1901. S. 23.
21) M. A. Luigi, Storia dell’ abate Pietro Trapassi. 1733. S. 163.

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